Dass Google, YouTube und Co. Algorithmen unterliegen, deren Suchkriterien nicht für alle sofort ersichtlich sind, ist keine Neuigkeit – auch, dass dabei die Gefahr von Selektion und Diskriminierung besteht. Aber nicht nur können die Algorithmen selbst einen Selektionsbias erzeugen, sondern über die ökonomische Notwendigkeit der Reichweite und den damit verbundenen Druck kann es zu einer vorweggenommenen Selektion durch die Content Creator kommen.
Bereits im Juli 2021 berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland (rnd) über diese Art der Selbstzensur des YouTubers Rezo. Herausgenommen hatte dieser Worte wie: „Homosexualität, homosexuell, schwul und Homophobie.“ Wie Rezo in dem Bericht beschreibt, liegt das Problem darin, Themen anzusprechen, ohne sie beim Namen zu nennen, um nicht herabgestuft zu werden. Ob dies die richtige Vorgehensweise ist oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt. Laut rnd gibt es allerdings zumindest Indizien dafür, dass der YouTube-Algorithmus Videos mit den eben genannten Buzzwords herunterstufe.
Doch auch der umgekehrte Sachverhalt lässt sich bei den Algorithmen finden. Vergisst man beispielsweise auf YouTube bei der Suche nach „LGBTIQ“ das „I“ einzugeben, durch einen Tippfehler oder aus Unkenntnis, so werden vom Algorithmus unter dem Schlagwort „LGBTQ“ mit fünf von sieben Ergebnissen eindeutig rechtspopulistische und menschenverachtende Anti-LGBTIQ*-Inhalte gezeigt. Hierbei ist anzumerken, dass der PC, mit dem diese Recherche vollzogen wurde, in keinen spezifischen YouTube-Account eingeloggt war. Bei einer Wiederholung auf einem anderen Gerät und einem anderen Anschluss zeigte sich ein ähnliches Bild. Besonders für Kinder und Jugendliche, die nicht in ihrem direkten Umfeld Bezugspersonen haben, die sich mit LGBTIQ* auseinandersetzen oder selbst dazugehören, entsteht hier eine ideologische Gefahr.
Daran zeigt sich abermals die Bedeutung medialer Bildung, die über eine bloße Anwendung von Medien hinausgeht und stattdessen auch Mechanismen und Inhalte reflektiert. Gleichzeitig zeigt es die Verantwortung der großen LGBTIQ*-Verbände und Vereine sowie ihrer Träger, sich stellvertretend für die gesamte Comunity auf eine juristische Auseinandersetzung auch mit großen Konzernen wie YouTube einzustellen, um für ein Regelwerk in der digitalen Welt zu kämpfen, das die Prinzipien von Würde und Demokratie hochhält. Etwas, dass Einzelne nicht leisten können. Ein zugegebenermaßen ambitioniertes und langwieriges Unterfangen, bei dem der teilweise geäußerte Vorwurf des „Canceln“ mutmaßlich ein ständiger Begleiter bleiben wird. Aber ohne diese Auseinandersetzung wird in einer Welt der digitalen Information der Einsatz für ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis kaum gelingen.