Echte Vielfalt

7. Januar 2023

Disneys neuer Winterfilm mit schwulem Hauptprotagonisten: Eine progressive Entwicklung?

Disney ist nicht gerade für seine weltoffenen Kindergeschichten bekannt. Im Gegenteil, häufig verstecken sich hinter den Abenteuern entweder Adelsdynastien, die von für den Moment „liebenswerten“ Prinzessinnen und Prinzen verkörpert werden, letztendlich allerdings alle absolute Herrscher*innen ihres Landes sind. Und auch wenn es nicht um Prinzessinnen und Prinzen geht, so malte Disney in der Vergangenheit zumindest gerne das Bild einer heteronormativen Familie an die Kinoleinwand, in denen Erbe und das Credo der Leistung eine zentrale Rolle spielten.

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Ähnlich sieht es auch bei LSBTIQ* Charakteren aus. Wie das Magazin queer aufzählt, waren sie meistens nur Randfiguren, die kurz auftauchen und dann wieder vergessen werden:

„Ein schwules, verheiratetes Antilopen-Paar in „Zoomania“, das erst bei genauem Lesen des Abspanns als solches zu erkennen ist, lesbische Elternpaare in „Findet Dorie“ und „Toy Story 4“, die ein paar Sekunden und ohne Dialog im Bild zu sehen waren. Viel mehr war da nicht.“

Im neuen Disney-Abenteuerfilm „Strange World“ soll das Ganze anders sein: Der Film spielt im fiktiven Land Avalonia. Ausgangspunkt ist ein Bruch zwischen Claid und seinem Sohn Searcher während einer Entdeckungsreise. Der Sohn findet eine Pflanze, die das gesamte Energieproblem von Avalonia lösen kann und beschließt Farmer zu werden, während der Vater sich wieder auf Entdeckungstour begibt und verschwindet. 25 Jahre später ist Searcher ein erfolgreicher Farmer, der mit seiner Frau Meridian und seinem eigenen Sohn Ethan auf einer Farm lebt. Aber natürlich gibt es ein Problem. Eines Tages landet die Präsidentin von Avalonia auf der Farm und eröffnet Searcher, dass die Pflanze nicht mehr genügend Energie liefere. So machen sich Searcher und Ethan auf in ein eigenes Abenteuer, um das Problem zu lösen.

Waren es bis jetzt Nebenrollen, so haben wir mit Ethan das erste Mal explizit einen Hauptcharakter, von dem wir erfahren, dass er in einen Freund aus seiner Clique verliebt ist. Queer schreibt dazu:

„Dass dieser Jemand ein Junge namens Diazo ist, ist erfreulicherweise nicht das geringste Problem für Ethans Eltern. Und auch für sonst niemanden in „Strange World“, schließlich geht es hier nicht um ein Coming-out, sondern um ein großes, gefährliches Abenteuer.“

Es ist also eine Hauptfigur mit normalen Teenagerproblemen wie Verliebtsein, ohne dass dabei die Sexualität zum Problem wird. Doch ist das tatsächlich der Fall.

In seiner Filmanalyse bemerkt der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt, dass gerade das Überzeichnete, mit dem Disney betont, dass niemand ein Problem damit habe, dass Ethan schwul sei und „wie selbstverständlich doch diese Selbstverständlichkeit ist“, die Frage aufwirft: Was steckt dahinter? Gerade bei Disney gilt es hier genau hinzuschauen. Wie Schmitt weiter bemerkt, lässt sich zwischen Ethan und seinem Schwarm Diazo keine einzige romantische Szene finden und auch sonst taucht Diazo nur für einige Minuten auf, um dann, wie schon die Nebencharaktere vor ihm, in der Versenkung zu verschwinden.

Natürlich kann genau dies beabsichtigt sein, dass die Beziehung ohne weitere Romantisierung selbstverständlich im Hintergrund wirkt. Wäre es dann allerdings nicht viel selbstverständlicher gewesen, die beiden Jungen wären sich nähergekommen, ohne dass sich eines der Elternteile dazu genötigt gesehen hätte, das wortreich zu kommentieren? Nur weil etwas als selbstverständlich geäußert wird, steht dahinter noch lange keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr wirkt das Ganze, als wollen sich die Erwachsenen selbst überzeugen. Die Folge muss deshalb natürlich kein Boykott von Disneyfilmen sein, jedoch kann es nicht schaden, wie auch bei anderen Filmen, etwas genauer hinzusehen und sich nicht vom erstbesten Narrativ überzeugen zu lassen.

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