Echte Vielfalt

31. Januar 2022

Doppelmoral in der katholischen Kirche?

Mit der Initiative „#OutInChurch: Für eine Kirche ohne Angst“ haben sich vergangene Woche rund 125 derzeitige oder ehemalige Mitarbeitende der römisch-katholischen Kirche im deutschen Sprachraum als queer geoutet. Dass diese aufgrund dessen entlassen werden könnten, illustriert vor dem Hintergrund unzähliger Kindesmissbrauchsskandale in der katholischen Kirche eine gefährliche Doppelmoral.

Weiterlesen

Von katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird unter der Überschrift „Loyalitätsobliegenheiten“ erwartet, „dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten“, wobei augenscheinlich nur Cis-Geschlechtlichkeit und Heterosexualität als „sittlich“ gelten, und jegliche andere Identitäten und Orientierungen Grund für eine Entlassung aus dem Beruf darstellen können. Dabei steht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen diskriminierend zu handeln, entgegen der Antidiskriminierungsregeln Deutschlands und der EU, welche Benachteiligung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung verbieten. Sollte es bei der aktuellen Rechtsauffassung des EuGH bleiben, schafft dies noch immer keine vollständige Rechtssicherheit für Bedienstete der katholischen Kirche, die wiederverheiratet sind oder in einer gleichgeschlechtlichen Ehe leben. Viele schildern noch immer, dass sie Angst hätten sich zu outen und aufgrund ihrer vermeintlich „Unsittlichkeit“ ausgeschlossen zu werden – und wenn nicht beruflich, dann zwischenmenschlich.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die katholische Kirche bis hin zum ehemaligen Papst Benedikt wissentlich Pädo-Kriminelle geschützt und nach ihren Vergehen lediglich versetzt und so weiteren Kindern ausgesetzt haben soll, offenbart sich also eine skurrile Doppelmoral: Während Kinderschänder nach ihren Vergehen in der Kirche und ihren Posten gehalten worden sind, obwohl sie bereits mehrfach eines Verhaltens angeklagt worden waren, das nicht nur „unsittlich“, sondern durchweg kriminell ist, muss sich eine trans Krankenschwester in einem katholischen Krankenhaus fragen, ob ihre Geschlechtsidentität den „Loyalitätsobliegenheiten“ ihres Arbeitsgebers widerspricht. Weil die katholische Kirche mit 1,3 Mio. Angestellten nach dem Staat der größte Arbeitgeber Deutschlands ist, stellen Situationen wie diese auch keine Einzelfälle dar, sondern Teil ein größeren Systems, das zugespitzt formuliert Kriminelle schützt, aber Queere diskriminiert. Eine Doppelmoral, die aus unerklärlichen Gründen verschiedenste Maßstäbe für den kinderschändenden Priester anlegt, als für die lesbische Lehrerin oder den genderqueeren Messner.

Von #OutInChurch wünscht sich der Gleichstellungsbeauftrage Sven Lehman daher, „dass sie einen konstruktiven Dialog innerhalb der katholischen Kirche auslöst mit dem Ziel, Gleichstellung und Akzeptanz aller Beschäftigten zu verwirklichen“. Dafür liegt, wie es aussieht, ein weiter Weg vor der katholischen Kirche, der nicht nur von Betroffenen in Deutschland gegangen werden kann und muss, sondern von der gesamten Institution – auch einem Vatikan, der die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare noch immer verbietet und für ungültig erklärt. Ob und wie schnell dies gelingt wird sich zeigen. Dass Erzbischof Koch das Zölibat nun in Frage stellte, und Kardinal Marx einen Queer-Gottesdienst geleitet hat, lässt sich als potentiellen Anfang diesen weiten Weges verstehen.

Lesen Sie hier mehr über die #OutInChurch-Initiative.

Schließen

 

 



Weitere interessante Beiträge zu diesem Thema finden Sie auch in: Arbeit, LSBTIQ