Am Wochenende vor der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, welche vom 23. bis 25. Februar 2021 pandemiebedingt digital abgehalten wurde, „schlugen“ Aktivistinnen der Bewegung ‚Maria 2.0‘ mit der Aktion ‚Thesenanschlag 2.0‘ bundesweit ein Papier mit sieben Thesen an die Eingangsbereiche katholischer Kirchen. Die vierte These hat den Titel „#bunt“ und fordert „eine wertschätzende Haltung und Anerkennung gegenüber selbstbestimmter achtsamer Sexualität und Partnerschaft“ – aber kann es echte (sexuelle und geschlechtliche) Vielfalt in der katholischen Kirche wirklich geben?
Denn wie Maria 2.0 einräumt, sei die offizielle Sexualmoral der katholischen Kirche, wie sie aktuell gelehrt werde „lebensfremd und diskriminierend“: So dürfen beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare in der katholischen Kirche noch immer nicht heiraten (und in der evangelischen Kirche können sie nur „gesegnet“ werden), auch das Pflichtzölibat besteht noch. Zudem ist die katholische Kirche eine der einzigen Institutionen in der Welt, die Frauen explizit von bestimmten Ämtern ausschließt – obwohl Menschenrechte und Grundgesetz allen Menschen gleiche Rechte garantieren.
Deswegen forderte das Katholische LSBT+ Komitee gemeinsam mit anderen Reformbewegungen der katholischen Kirche (unter anderem Maria 2.0) in einem öffentlichen Appell an die Bischofskonferenz, dass es ein Umdenken bei der Sexualmoral und Akzeptanz sexueller Minderheiten brauche: „Die Kirche braucht einen neuen und positiven Zugang zur Sexualität, ihrer bewussten Gestaltung und der Tatsache, dass Sexualität zum Leben gehört“ – „Heterosexuelle, Lesben, Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen – alle gehören gleichwertig zu unserer Kirche. Es darf hier keine Verurteilungen und Diskriminierungen mehr geben“.
Doch obwohl diese Forderungen unter dem Appell „Verspielen Sie die letzte Chance nicht!“ gestellt wurden, wird bislang selbst das Problem der zahlreichen sexuellen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, die seit 2010 an die Öffentlichkeit geraten (sind), unzureichend von der Bischofskonferenz thematisiert und aufgearbeitet. So wird unter anderem dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki „fehlende Transparenz“ vorgeworfen, weil er ein unabhängiges Gutachten zum sexuellen Missbrauch durch Priester wegen angeblicher methodischer Fehler nur eingeschränkt veröffentliche – eine Entscheidung, von der der Betroffenenbeirat ausgeschlossen wurde, wie Patrick Bauer, ein Betroffener, dem Deutschlandfunk sagte: „Man hat uns in dieser Sitzung das Gefühl gegeben: Lieber Betroffenenbeirat – Ihr müsst mit uns diese Entscheidung tragen. Wir hören auf Euch und das ist das Entscheidende: Wir hören auf euch. Das, was ihr uns sagt, machen wir. Das ist das, was uns vermittelt worden ist. Fakt war aber, dass da die Entscheidung längst gefallen war“, sagt Patrick Bauer.
Entscheidungen in der katholischen Kirche scheinen also nach wie vor hinter verschlossenen Türen von Männern getroffen zu werden, während kaum Offenheit für jegliche Forderungen zur Aufarbeitung oder Reform gezeigt wird – nicht einmal, wenn sie aus den Reihen der immer weniger werdenden Mitglieder kommen, und nicht einmal, wenn sie von denen kommen, die Opfer des „lebensfremden“ Umgangs der katholischen Kirche mit Sexualität geworden sind.
Die Frage danach, ob die katholische Kirche sich zu einem Ort der echten (sexuellen und geschlechtlichen) Vielfalt öffnen und reformieren kann besteht also: Nach dem Thesenanschlag „1.0“ vor über 500 Jahren, als Martin Luther 95, damals als radikal geltende, Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben soll, war das endgültige Ergebnis nicht etwa eine grundlegende Reform der katholischen Kirche – sondern die Bildung einer neuen. Angesichts steigender Austrittszahlen ist die Frage ist also nicht, ob es eine Veränderung geben wird – sondern ob diese inner- oder außerhalb der katholischen Kirche stattfinden wird.