Echte Vielfalt

23. April 2024

Es ist so weit: Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes

Am 12. April 2024 verabschiedete der Bundestag das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (SBGG), das dann am 1. November in Kraft tritt. Bereits ab August sollen jedoch die Anmeldungen für die Änderung des Geschlechtseintrags möglich sein und mit Inkrafttreten im November direkt Wirksamkeit erlangen.

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Wie die Tagesschau berichtet, war der Verabschiedung eine ziemlich emotionale Debatte im Bundestag vorausgegangen. Die AfD bezeichnet das Gesetz als „ideologischen Unfug“, während das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kritisiert, dass es das Geschlecht von einer biologischen Tatsache zu einer Frage der Gemütsverfassung mache. Von Seiten der Union kam indes der Vorwurf, der Staat vernachlässige seine Schutzpflicht gegenüber Minderjährigen. Die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke), Leiterin der Debatte, musste zwischenzeitlich zu Respekt und Sachlichkeit mahnen. Die Debatte machte ein weiteres Mal deutlich, dass es bei dem gesamten Diskurs immer auch um Deutungshoheit und politische Macht geht. Am Ende stimmten allerdings 374 Abgeordnete für das Gesetz, 251 stimmten mit Nein. Eine Zustimmung des Bundesrats ist darüber hinaus nicht notwendig.

Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) beinhalten die zentralen Änderungen folgendes:

  • Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens durch eine „Erklärung mit Eigenversicherung“ ohne ein Sachverständigengutachten und gerichtliche Anhörung. Die Person muss versichern, dass die beantragte Änderung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht und sie sich der Folgen bewusst ist. Allerdings bedarf es einer dreimonatigen Voranmeldung beim Standesamt. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sieht diesen Punkt neben anderen als nicht ausreichend begründet und unverhältnismäßig, begrüßt aber insgesamt die Verabschiedung. Nach Änderung tritt eine einjährige Sperrfrist für eine erneute Änderung in Kraft. Auch an dieser Stelle sieht der LSVD die Regelung als nicht ausreichend begründet.
  • Für Minderjährige gilt, dass Sorgeberechtigte die Änderungserklärung für Kinder bis 14 Jahre abgeben können, jedoch bedarf es der Einwilligung des Kindes, wenn es älter als fünf Jahre ist. Ab 14 Jahren können Minderjährige die Änderungserklärung selbst abgeben, aber die Zustimmung der Sorgeberechtigten ist erforderlich. Diese kann vom Familiengericht ersetzt werden. Bei minderjährigen Personen gilt jedoch die notwendige „Abgabe einer Erklärung, Beratung in Anspruch genommen zu haben“, obwohl das Gesetz eigentlich keine Beratungspflicht vorsieht. Der LSVD mahnt hier vor einer Beratungspflicht durch die Hintertür.
  • Des Weiteren haben Eltern nun die Möglichkeit, in der Geburtsurkunde ihrer Kinder „Elternteil“ anstelle von „Vater“ oder „Mutter“ einzutragen zu können.
  • Mit dem sogenannten Offenbarungsverbot bleibt es verboten, frühere Geschlechtseinträge oder Vornamen auszuforschen und offen zu legen. Ein Verstoß kann mit Bußgeld geahndet werden. Es gibt jedoch kein explizites Verbot von „Misgendern“ oder „Deadnaming“. Auch hier zeigt sich eine Lücke.
  • Das Gesetz berührt nicht das private Hausrecht und die Vertragsfreiheit. Es ändert nichts an den bestehenden Regelungen bezüglich des Zugangs zu geschützten Räumen oder der Autonomie des Sports. Zur Debatte ums Hausrecht haben wir bereits in einem früheren Artikel festgestellt, dass entsprechende Betonungen die Gefahr von Stigmatisierung bergen, während Verbände für Frauen wie Frauenhaus Koordinierung e.V. betonen, dass das SBGG die Ausgestaltung von Schutzräumen nicht infrage stelle.

Das BMFSFJ verweist zusätzlich darauf, dass das Selbstbestimmungsgesetz „ausdrücklich keine Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen [beinhaltet]“. Eine wichtige Unterscheidung in der öffentlichen Debatte um Selbstbestimmung. Wer sich weiter damit befassen möchte, findet in unserem Artikel „Die beiden Diskursebenen der Selbstbestimmung“ einen ersten Einstieg.

Des Weiteren empfehlen wir für einen umfangreicheren Einblick in das Gesetz und seine Eckpunkte den Artikel vom LSVD, der sich neben einem Überblick auch mit weiteren immer noch bestehenden Kritikpunkten sowie der langen historischen Entwicklung bis zum SBGG beschäftigt.

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