Echte Vielfalt

14. November 2024

Bruch der Ampelkoalition: Wie reagiert die LSBTIQ*-Community?

Nach einem weiteren Streit über den Bundeshaushalt 2025 zwischen FDP-Finanzminister Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz wurde am Abend des 6. November klar: Die Ampelkoalition ist am Ende. Wie reagiert die queere Community auf das Ende der Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag viele queerpolitische Versprechen machte – und teilweise nicht einlöste?

Weiterlesen

Für den  23. Februar 2025 sind Neuwahlen geplant. Nach aktuellen Umfrageergebnissen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die nächste Regierung von den Unionsparteien CDU und CSU angeführt wird. Diese zeigten sich in letzter Zeit wenig progressiv in Hinblick auf die Belange und Rechte queerer Menschen. Der schnelle Aufstieg des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ebenso wie die hohen Umfragewerte der AfD sind für die queere Community wohl kaum ein Grund zum Feiern. In Hinblick auf diese unsicheren Zeiten besteht die Sorge, dass die Rechte von LSBTIQ* Personen in Deutschland aktuell nicht ausreichend gesichert sind. Die Ampelkoalition hat noch lange nicht alle Versprechen eingelöst, die sie ursprünglich in ihrem Aktionsplan „Queer leben“ festgehalten hat.

„Das Wahlergebnis in den USA und die Unklarheit über die politische Zukunft Deutschlands und die damit verbundene Menschenrechtspolitik lösen gerade in der Community von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen sowie weiteren queeren Menschen (LSBTIQ*) große Unsicherheit aus“, erklärt Tim Stefaniak aus dem Bundesvorstand des LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt. Er fordert: „Queerpolitische Belange dürfen in der Übergangsphase der nächsten Wochen und Monate nicht unter die Räder geraten, sondern sie müssen jetzt besonders berücksichtigt werden. Das Koalitionsende muss geordnet und nicht überstürzt erfolgen.“

Es ist unklar, ob beispielsweise die geforderte Reform des Abstammungsrechts noch umgesetzt wird. Denn bislang wird bei lesbischen Paaren weiterhin nur die Mutter rechtlich als solche anerkannt, die das Kind geboren hat. Die nicht-gebärende Mutter muss im Gegensatz zu heterosexuellen Paaren den aufwendigen Prozess einer Stiefkindadoption durchlaufen, um als offizielles Elternteil anerkannt zu werden. Anfang Oktober wurde ein Entwurf zur Reform vorgestellt, der einige rechtliche Verbesserungen für Regenbogenfamilien vorsieht. Dennoch äußert ein Bündnis verschiedener queerpolitischer Akteur*innen Bedenken, dass der Reformentwurf weiterhin Diskriminierungen gegenüber LSBTIQ* Familien enthalten würde.

Stefaniak vom LSVD+ fordert die Umsetzung einer diskriminierungsfreien Reform des Abstammungsrechtes bis Weihnachten. Außerdem müssten migrations- und außenpolitische Fragen mit dem Schutz von LSBTIQ* verknüpft werden. Die Bundesregierung könnte dazu ihren Beitrag leisten, indem beispielsweise das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan weitergeführt wird. Der Schutz queerer Geflüchteter stand kaum im Vordergrund der Queerpolitik der Ampel.

Ein weiteres großes Vorhaben der Ampelregierung war die Ergänzung des Artikel 3 Absatz 2 im Grundgesetz um die Kategorie „sexuelle Identität“. Dies wäre ein notwendiger Schritt, damit wichtige Errungenschaften der letzten Jahre nicht so einfach wieder rückgängig gemacht werden können. Im aktuellen politischen Klima, in welchem Rechtspopulist*innen und Reaktionäre immer mehr Gehör bekommen, scheint diese verfassungsrechtliche Ergänzung dringender denn je.

Trotz aller Kritik wird jedoch auch erwähnt, dass die Ampelregierung bereits einige queerpolitische Vorhaben aus ihrem Aktionsplan umsetzen konnte. Darunter fällt das erst Anfang des Monats in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz. Auch gegen Hasskriminalität gegenüber und Diskriminierung von LSBTIQ*, beispielsweise bei der Blutspende, hat die Ampel Einsatz gezeigt. Zudem ist es die erste Bundesregierung, die einen Queerbeauftragten im Amt hat.

Ob die verbleibenden zwei Regierungsparteien SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es noch schaffen, Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, bleibt fraglich. Bis zu den geplanten Neuwahlen im Februar muss die rot-grüne Regierungskoalition unter Olaf Scholz nun neue Mehrheiten im Bundestag finden, um Gesetze zu erlassen. 

Schließen



Weitere interessante Beiträge zu diesem Thema finden Sie auch in: Allgemein, Lebensbereiche, LSBTIQ