Seit April 2024 gibt es mit „Bi+ Equal“ ein europaweites, 24-monatiges Projekt, das von Bi+ Nederland und Spectrum (Frankreich) ins Leben gerufen wurde, um die Gleichstellung von Bi+ Personen in Europa zu fördern. Es zielt darauf ab, bestehende Bi+ Initiativen zu kartieren, Kapazitäten aufzubauen und eine europäische Bi+ Rechtspersönlichkeit zu schaffen, die von der Bi+ Gemeinschaft für die Bi+ Gemeinschaft entwickelt wird. Kurz: Am Ende soll eine Dachorganisation entstehen, die Lücken in der Repräsentation und Interessenvertretung von Bi+ Personen auf europäischer Ebene schließt. Doch was ist nun unter „Bi+“ zu verstehen?
Auf der offiziellen Webseite von Bi+ Equal heißt es dazu: „Bi+ ist ein Oberbegriff für alle Menschen, deren sexuelle Orientierung sich auf Personen mehrerer Geschlechter richtet. Sie können sich als bi+, bisexuell, pansexuell, queer, fluid usw. identifizieren – müssen dies jedoch nicht. Der Begriff Bi+ wird in vielen Gemeinschaften immer geläufiger, da er im Vergleich zu ‚Bisexualität‘ ein weiter gefasster und inklusiverer Begriff ist.“
Wie die europäische Vertretung der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA-Europa) in ihrem Blog schreibt, geht es darum, mehr Sichtbarkeit und Gleichstellung, aber auch Rechte für alle nicht-monosexuellen Menschen zu erreichen. „Die allgegenwärtige monosexuelle Norm – die Annahme, dass Menschen ausschließlich zu einem Geschlecht hingezogen sind – erschwert es Bi+-Personen, sowohl im LGBTI-Kontext als auch in der Gesellschaft insgesamt vollständig anerkannt zu werden.“ Die Folgen sind Ressentiments und Diskriminierungen, auch innerhalb der LGBTIQ*-Gemeinschaft.
In unserem Artikel „Zum Trans Day of Visibility: Philosophische Überlegungen zur Bedeutung von Trans- und Nichtbinär-Sein“ haben wir bereits thematisiert, dass Ressentiments besonders dann schwierig zu überwinden sind, wenn die Themen einen selbst sehr nahegehen. Es ist also sinnvoll, eine neue „Rechtspersönlichkeit“ – wie es heißt – zu gründen, um dieser Marginalisierung und Diskriminierung entgegenzuwirken.
Gleichzeitig steht eine solche Organisation, mehr als andere, vor der schweren Aufgabe, zwischen dem vielfältigen Spektrum der Sexualität als Konzept und dem legitimen Recht jeder*jedes Einzelnen, sich selbst zu definieren und damit abzugrenzen, zu balancieren. In unserem Artikel „Auf der Suche nach der Wahrheit über unsere sexuelle Orientierung“ haben wir die Debatte darüber, dass der Mensch grundsätzlich fähig ist, sich zu allen Geschlechtern hingezogen zu fühlen, bereits angerissen. Wenn Sexualität aber keine Frage des Entweder-Oder, sondern eher ein Spektrum ist, in dem sich Menschen bewusst oder unbewusst, offen oder verdeckt entscheiden, dann gilt das für alle.
Das Durchsetzen rechtlicher Ansprüche und die Sichtbarmachung der Bi+-Belange sind wichtig, ebenso wie die Förderung der Kommunikation über das Spektrum der Sexualität auf europäischer Ebene. Letzteres wird wahrscheinlich verstärkt mit den Selbstbildern der Menschen und damit auch ihren Ressentiments in Kontakt kommen. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Initiative „Bi+ Equal“ diese Herausforderungen angehen wird.