Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) widmet sich vom 08. bis zum 10. August dem Thema „Coming Out, Inviting In“ in der Literatur. Neben dem Diskurs um das Thema in und mit diversen Texten geht es auch um die Synergie zwischen Literatur und Film.
Coming Outs sind persönlich und doch jedes Mal aufs Neue politisch. „Längst ist das Konzept des Coming Out jedoch nicht unhinterfragt. Wie wird es aus intersektionalen Perspektiven geframed? Was bedeutet ein Inviting In? Wie sieht eine Gesellschaft aus, in der sich ein Outing erübrigt? Welche Rolle spielt die Literatur als (Auto-)fiktion, als Archiv, als Entwurf von Narrativen? Wo sind Spielfilme, Comics, Pornos Orte der Selbstimagination? Und wo (er-)findet die Lyrik ihre Sprache? Was erzählen historische Quellen? Wie recherchieren Schreibende und wie nähern sich Texte der historischen Komplexität queerer (Un-)Sichtbarkeit?“ Mit all diesen Fragen will sich das LCB dieses Jahr befassen.
Gegenüber dem Tagespiegel begründete die Kuratorin Anna Hetzer: „[Es gehe darum,] wie Erfahrungen als queere Person zusammenhängen mit dem eigenen Schreiben [und] wie Film und Literatur sich gegenseitig beeinflussen. Schriftsteller*innen gucken auch Filme. Literarisch werden wir die Rolle von Archiven diskutieren und sicher das große Thema Autofiktion, das gerade in der queeren Community eine Tradition hat.“
Auf den Veranstaltungsnamens angesprochen erklärt Hetzer, dass sich beim Coming Out immer auch die Frage stelle, ob es sich um ein einmaliges Ereignis oder einen Prozess handele. Hierzu haben wir bereits in unserem Artikel „Auf der Suche nach der Wahrheit über unsere sexuelle Orientierung“ festgestellt: Sexualität ist ein Spektrum, auf dem sich Menschen bewegen, und dieses Spektrum ist nicht statisch. Im Gegenteil, es kann sich über das Leben in beide Richtungen verändern. Dabei sind wir nie außerhalb unserer sozialen Beziehungen. Wir treffen auf Ressentiments oder haben selbst welche, wie wir in unserem Artikel „Philosophische Überlegungen zur Bedeutung von Trans- und Nichtbinär-Sein“ aufgegriffen haben. Hier kamen wir allerdings auch zu dem Schluss, dass in diesen Auseinandersetzungen immer auch die Chance liegt, das eigene und gemeinschaftliche (Nach-)Denken zu schulen und das Selbst und seine Beziehungen als dynamischen Prozess zu begreifen. Auch ging es darum, dass man selbst und das Gegenüber auf die jeweils andere Person angewiesen ist, um sich zu verstehen. Das wird umso bedeutender, wenn Personen aufgrund von Gesundheit nicht mehr über das eigene Selbstbild bestimmen kann, wie es bspw. bei Demenz vorkommen kann. Was dabei die Rolle und was das „tatsächliche Selbst“ ist, bleibt für das Gegenüber zunächst offen. Ein Coming Out ist damit immer auch auf die Community, in der man sich bewegt, bezogen und kann bedeuten, dass sich eine ehemals homosexuelle Person nun zu beiden oder nur zum anderen Geschlecht hingezogen fühlt.
Literatur und Film bieten hier eine faszinierende Brücke in fremde, aber immer auch in eigene Gedanken – und haben die Möglichkeit, mit allen denkbaren Kombinationen von Selbst und Rolle in Gesellschaften verschiedenster Art zu spielen.
Wie Anna Hetzer ausführt, versteht die Veranstaltung unter Coming Out das Kommunizieren einer Person ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität nach außen, was sie immer auch „ein Stück weit der Reaktion von anderen aus[setzt]“. Inviting In bedeutet in diesem Zusammenhang: „Menschen werden eingeladen, zuzuhören und etwas sehr Persönliches zu erfahren. Gleich zu Beginn des Festivals gibt es eine Diskussionsrunde zu den Begriffen und ihren Perspektiven.“
Ein umfangreiches Ziel, das Erwartungsmanagement verlangt. Es wird vermutlich politisch, philosophisch und, wenn es gut läuft, auf eine positive Weise kontrovers. Auf jeden Fall darf damit gerechnet werden, dass man am Ende mit mehr offenen Fragen nach Hause geht.
Interessierte finden hier das Programm.