Erheblich mehr als die 20.000 erwarteten Menschen beteiligten sich am vergangenen Samstag an der Christopher Street Day Parade in Berlin: Nach Angaben der Polizei vom frühen Samstagabend waren es rund 65.000 Menschen, die an der Demonstration unter dem Motto „Save our Community – Save your Pride“ teilnahmen. Eröffnet wurde sie von Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), der unter Jubel des Publikums vorschlug, Berlin zur „queeren Freiheitszone“ auszurufen.
Damit spielte er auf die sogenannten „LGBT-Freien-Zonen“ in Polen an, von denen queere Menschen bewusst ausgeschlossen werden sollen. Der Beifall des Berliner Publikums für eine „Freiheitszone“ macht daher deutlich, dass es bei der Parade um den Kampf für LGBTQI*-Rechte nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland geht. So rief auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) anlässlich des CSD zur Solidarität mit verfolgten LGBTQI* auf, die bei ihrem Engagement für Gleichstellung und Respekt „in Kauf nehmen müssen, ausgegrenzt, verfolgt oder inhaftiert zu werden“. Während das heutige Berlin zwar „weltoffen und liberal“ sei, gäbe es auch in der „Regenbogenhauptstadt Europas“ homofeindliches Denken und Handeln: „Dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen“.
Dass jedoch alles gemeinsame Stehen, Marschieren und Demonstrieren momentan noch unter Abstands- und Maskenregeln stattfinden muss, konnte weder von den Organisator*innen der Veranstaltungen, noch der Polizei vollständig durchgesetzt werden. Die meisten Feiernden trugen zwar einen Mund-Nasen-Schutz (viele in Regenbogenfarben) und bemühten sich um Abstand, doch nicht immer wurden die Corona-Regeln eingehalten, obwohl die Organisator*innen immer wieder über Lautsprecher dazu aufriefen. Auch die Polizei machte die Teilnehmenden unter anderem über Twitter auf die geltenden Bestimmungen aufmerksam und drohte mit einem Abbruch der Demonstration, wenn es weiterhin Verstöße gäbe. Teilnehmende äußerten jedoch Verständnis für die Maßnahmen und lobten den friedlichen Ablauf des Umzugs, so kam es während der Parade selbst zu keinen größeren Zwischenfällen.
Doch am späten Abend, nach Ende der Parade, eskalierte die Polizei eine Situation im Regenbogenkiez, wo nach der Demonstration in und vor der Szene-Bar „Hafen“ mit Alkohol, wenig Abstand und zum Teil ohne Maske gefeiert worden sei. So ereignete sich gegen 23:30 Uhr ein Polizeieinsatz, der von Berliner Rechtsanwalt Prof. Nico Härting anhand eines Facebook-Videos einer Festnahme als „Jagdszene“ beschrieben wurde, „an die wir uns nicht gewöhnen dürfen“: „Nach dem CSD setzt die Berliner Polizei eine Maskenpflicht, die es im Freien eigentlich gar nicht mehr gibt, unerbittlich durch“. Ein vor Ort gewesener Zeuge habe den Polizeieinsatz schon „rein optisch als sehr beängstigend“ erlebt: „Das ist natürlich krass, ausgerechnet beim CSD vor einer Schwulenbar“.
„Ausgerechnet beim CSD“ in der „Regenbogenhauptstadt Europas“ ereigneten sich auch mehrere queer-feindliche Angriffe in verschiedenen Berliner Stadtteilen. So meldeten in Schöneberg drei vorherige CSD-Teilnehmende angegriffen und homofeindlich beleidigt worden zu sein, wobei alle leicht verletzt wurden. Am Sonntagnachmittag meldete die Polizei der Hauptstadt, dass im Bezirk Mitte ein 21-Jähriger durch einen Unbekannten von hinten getreten und von einem weiteren Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde, nachdem die beiden Unbekannten eine Regenbogenfahne aus dem Rucksack des jungen Mannes gerissen hatten.
So wird deutlich, dass es, trotz vereinzelter Missachtungen der Abstands- und Maskenregeln, die im Freien eintraten, ein großes Glück ist, dass sich auch dieses Jahr so viele Menschen unter dem Motto „Save our Community – Save your Pride“ in Berlin versammelten. Denn wie auf der ganzen Welt liegt noch einiges vor der als besonders queer-freundlich geltenden Stadt, bis sie sich in jeder Hinsicht – über Szene Clubs und Bars hinaus – als „Regenbogenhauptstadt“ bezeichnen darf.