Die Unionsparteien CDU und CSU und die SPD haben den Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ vorgelegt. Doch wie steht es darin um queerpolitische Maßnahmen? Was ist mit dem Aktionsplan „Queer leben“? Und bleibt das Selbstbestimmungsgesetz bestehen? Diese und weitere Fragen werden in diesem Artikel in den Blick genommen.
Queerpolitische Fragen stehen keinesfalls im Vordergrund des neuen Koalitionsvertrags. Auf den fast 150 Seiten gibt es einen kurzen Absatz zum Thema „Geschlechtliche Vielfalt“, in dem die wahrscheinlich künftigen Regierungsparteien festhalten:
„Wir verpflichten uns weiterhin, queeres Leben vor Diskriminierung zu schützen. Es muss für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung selbstverständlich sein, gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei leben zu können. Dazu wollen wir mit entsprechenden Maßnahmen das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken.“
Konkrete Maßnahmen, wie die Koalition LSBTIQ* Personen besser vor Diskriminierung und Hasskriminalität schützen will, werden jedoch nicht genannt. Der von der Ampel-Regierung ins Leben gerufenen Aktionsplan „Queer leben“ bleibt ebenfalls unerwähnt, eine*n Queerbeauftragte*n wie in der derzeitigen Legislaturperiode wird es scheinbar nicht geben.
Dies kritisiert der LSVD+ Verband Queere Vielfalt: „Angesichts der jährlich steigenden Zahl von Angriffen auf LSBTIQ* Personen muss allerdings das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt erhalten bleiben und der Aktionsplan “Queer leben” fortgeführt werden.“
Selbstbestimmungsgesetz
Ein großer Sorgenpunkt queerer Menschen für die nächste Legislaturperiode kam im Wahlkampf auf, denn CDU und CSU forderten eine Abschaffung des erst letzten Jahres in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetzes, was sie mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen begründeten. In den Koalitionsverhandlungen schienen sich die Unionsparteien mit dieser Forderung nicht durchsetzen zu können. Die Koalitionspartner*innen verpflichten sich im Vertrag zur Wahrung „der Rechte von trans- und intersexuellen Personen“.
Dennoch wurde festgehalten, dass das Selbstbestimmungsgesetz bis Ende Juli 2026 evaluiert werden soll, insbesondere in Hinblick „auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen.“ Dabei hat sich gezeigt, dass solche Gesetze in anderen Ländern nur in den seltensten Fällen missbraucht würden, so der Tagesspiegel. Ob nach der Evaluation eine Abschaffung des Gesetzes folgen könnte, wurde nicht explizit erwähnt.
Queere Geflüchtete
Mit dem Fokus auf die ‚Begrenzung‘ und ‚Steuerung‘ der Migration durch Maßnahmen wie Zurückweisungen an den Staatsgrenzen und der Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer wird zudem die Frage des Schutzes queerer Geflüchteter vernachlässigt. Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan soll beendet und keine neuen freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme gestartet werden. Dass queere Geflüchtete ebenfalls unter den Schutz queeren Lebens, zu dem Union und SPD sich verpflichten, gehören sollten, scheinen die künftigen Regierungsparteien zu ignorieren.
Dazu kommentiert der LSVD+ besorgt, dass die zukünftige Koalition „queere Geflüchtete in Lebensgefahr“ bringe. Denn „[i]n Afghanistan verfolgen, vergewaltigen und ermorden die Taliban systematisch LSBTIQ* mit dem klaren Ziel der Vernichtung queerer Menschen. Hunderte queere Afghan*innen, denen Deutschland mithilfe des Bundesaufnahmeprogrammes die Rettung vor dem sicheren Tod versprochen hat, droht nach ihrer erfolgreichen Evakuierung nach Pakistan durch eine unkoordinierte Beendigung des Aufnahmeprogramms nun die Abschiebung nach Afghanistan und ihre grausame Ermordung.“
Familienrechtsreform
Zuletzt betrifft auch die Frage des Familienrechts queere Menschen. Eine Reform des Abstammungsrechts wurde von der Ampelregierung geplant, jedoch nicht umgesetzt (eine Kritik daran haben wir in einem früheren Beitrag formuliert). Union und SPD halten in ihrem Koalitionsvertrag nicht konkret fest, inwiefern es Verbesserungen für Regenbogenfamilien geben soll. In Bezug auf eine Familienrechtsreform solle sich „vom Wohl des Kindes“ geleitet werden lassen. Aus Sicht des LSVD+ könnte dies positiv gewertet werden, denn aus dieser Perspektive sei eine Reform des Abstammungsrechts wichtig. Zu hoffen bleibt, dass die Koalitionspartner*innen das ebenso verstehen und eine Reform des diskriminierenden Abstammungsrechts in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt wird.