Weiterlesen Über dieses komplexe Verhältnis spricht Tilo Jung mit dem US-amerikanischen Autor und Kolumnisten Dan Savage. Die von Tilo Jung moderierte Interviewreihe „Jung & Naiv“ bietet regelmäßig tiefgehende Gespräche über Politik und Gesellschaft. Savage gilt als eine der bekanntesten Stimmen im internationalen Diskurs über Sexualität. Seit den 1990er-Jahren veröffentlicht er seine Kolumne „Savage Love“, in der er offen über Liebe, Sexualität und Beziehungen schreibt. Darüber hinaus engagiert er sich für LSBTIQ*-Rechte, bricht Tabus und wirbt für eine ehrliche, pragmatische Auseinandersetzung mit Sexualität. Im Interview erklärt Savage, warum offene Kommunikation in Beziehungen entscheidend ist und welche Gefahren durch Tabuisierung, konservative Rückschritte und unrealistische Erwartungen entstehen können. Zugleich betont er, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist – ebenso wie persönliche Veränderung im Alltag. Deutlich wird dabei, dass Sexualität weit über die LSBTIQ*-Gemeinschaft hinaus untrennbar mit Politik verknüpft bleibt. Gesetze und Normen definieren, was als legitim gilt und was als „abweichend“ markiert wird. Sie bestimmen, wer sprechen darf und wessen Lebensweisen marginalisiert werden. Für Savage ist der Umgang mit Minderheiten – insbesondere mit deren Sexualität – dabei ein Indikator für die Qualität einer Demokratie. Savage betont, dass Sexualität in Beziehungen ebenso wie in der Politik ein ständiger Aushandlungsprozess ist – zwischen Individuen, Partner*innen und gesellschaftlichen Normen. Alternative Beziehungsmodelle legitimierten sich durch Konsens, auch wenn sie Konventionen brechen. Entscheidend sind offene Gespräche über Wünsche und Grenzen, die Beziehungen stärken. Unterdrückte Sexualität dagegen schadet, wobei Savage klar unterscheidet zwischen selbstgewählter Kontrolle und fremder Unterdrückung. Mit einem kritischen Blick in die USA unterstreicht das Interview, wie Tabus und Schweigen, Scham und Unwissenheit die Menschen verletzlich machen. Errungene Rechte können wieder zurückgenommen werden und konservative Kräfte nutzen Sexualität gezielt zur gesellschaftlichen Spaltung. Trotz der Schärfe seiner Analyse bleibt Savages Beobachtung jedoch nicht ohne Lichtblick. Er verweist darauf, wie „schnell“ sich Einstellungen in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben – von der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Ehen bis zur wachsenden Sichtbarkeit vielfältiger Lebensentwürfe. Besonders die jüngere Generation stehe für neue Offenheit und Normalität im Umgang mit Vielfalt. Das unterstreicht: Gesellschaftlicher Wandel ist möglich – aber er braucht aktive Gestaltung. Wer verstehen will, wie eng Intimität, Politik und persönliche Freiheit miteinander verflochten sind, und zugleich lebenspraktische Denkanstöße erhalten möchte, sollte das Gespräch nicht verpassen. #783 - Dan Savage on Epstein, Trump, queer rights, fascism & monogamy. Politik für Desinteressierte -„Jung & Naiv“
Schwule
Erste Jubiläumswallfahrt von LSBTIQ*-Katholik*innen zum Vatikan
16. September 2025Weiterlesen Nach einer Beschreibung von Euro News ist La Tenda di Gionata eine 2018 gegründete italienische Vereinigung, die sich für die Anerkennung und Aufnahme von LSBTIQ*-Personen in der katholischen Kirche einsetzt. Sie entstand auf Initiative von Don David Esposito und versteht sich als Ort des Dialogs zwischen Gläubigen, Familien und kirchlichen Gemeinschaften. Der Name bezieht sich auf den Propheten Jesaja („Vergrößere den Raum deines Zeltes“, Jes 54) als Symbol für Offenheit, Weite und Inklusion. Das Programm umfasste u. a. ein Treffen mit dem Jesuiten James Martin, eine feierliche Messe mit Bischof Francesco Savino sowie eine Vigil unter dem Motto „Die Kirche ist ein Haus für alle“. Höhepunkt war die gemeinsame Wallfahrt von mehr als 1.000 Gläubigen durch die Heilige Pforte des Petersdoms. Die Initiative gilt als historisch, da eine solche Teilnahme unter Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. noch undenkbar gewesen wäre. Papst Franziskus hat mit Gesten und Worten wiederholt Offenheit gezeigt, wenngleich kirchenrechtlich bislang kaum Veränderungen erkennbar sind. Wie der Merkur berichtet, durfte die Gruppe mit einem Regenbogenkreuz sowie in Pride-Farben durch die Heilige Pforte des Petersdoms ziehen – ein stark symbolischer Akt, der zuvor undenkbar gewesen wäre. Einige gleichgeschlechtliche Paare gingen dabei Hand in Hand. Das Jubiläum war noch unter Papst Franziskus vorbereitet worden. Der neue Papst Leo XIV. genehmigte zwar privat eine Messe für die Gruppe, zeigte sich jedoch nicht öffentlich und setzte damit kein sichtbares Signal der Bestätigung, so der Merkur weiter. Für viele Teilnehmende war die Aufnahme durch den Vatikan dennoch ein bedeutender Schritt: ein Zeichen für wachsende Inklusion nach Jahrzehnten der Ausgrenzung, auch wenn die offizielle katholische Lehre Homosexualität weiterhin negativ bewertet. „‘Ich bin geschockt‘, sagte Capasso und hielt inne, um seine Tränen zurückzuhalten. ‚Die Kirche sieht uns ohne unsere Masken und lässt uns herein.‘ Einige Teilnehmer beschrieben das Schwulenjubiläum als ‚surreal‘ – ein Zeichen dafür, wie weit sie unter Franziskus gekommen sind.“ (Merkur.de) Auf Vatican News hieß es dazu: „Die Wallfahrt ist keine Demonstration, sondern eine Feier des Glaubens.“ Zudem betonte Vatican News, dass bereits Papst Franziskus während seines Pontifikats durch regelmäßige Begegnungen mit LSBTIQ*-Gruppen Offenheit signalisiert hatte. Insgesamt zeigt Vatican News eine vorsichtige, pastorale Öffnung, die queeren Gläubigen Sichtbarkeit und Teilnahme ermöglicht, ohne jedoch die Lehrposition zur Ehe oder Sexualmoral grundlegend zur Debatte zu stellen. Man könnte sagen, der Vatikan öffnet Türen symbolisch, hält aber den Rahmen der kirchlichen Lehre weiterhin im bekannten Gefüge. Bei einer Weltorganisation wie der katholischen Kirche ist zu erwarten, dass Veränderungen nur sehr langsam erfolgen. Strategisch betrachtet kann eine schrittweise Öffnung durch wiederkehrende symbolische Gesten sogar nachhaltiger sein als ein einmaliger, radikaler Bruch – insbesondere in einer traditionsbewussten und stark hierarchisch geprägten Institution. Dennoch bedeutet dies nicht, dass Kritik unangebracht wäre. Vielmehr scheint das Ringen um die Glaubenslehre und den Katechismus selbst Teil des Wandlungsprozesses, in dem sich die Kirche mit aktuellen Fragen von Identität und Inklusion auseinandersetzt.
Burkina Faso kriminalisiert Homosexualität
4. September 2025Weiterlesen 2022 kam es in Burkina Faso zu einem Militärputsch. Seitdem regiert eine Militärjunta, die Russland nahesteht. Die 71 Mitglieder des nicht gewählten Übergangsparlaments in Burkina Faso verabschiedeten einstimmig ein neues Anti-LSBTIQ* Gesetz. Homosexualität und damit ‚assoziierte Praktiken‘ sollen gesetzlich bestraft werden, so der Justizminister Edasso Rodrigue Bayala (zitiert in BBC). Verstöße gegen das Gesetz können mit Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren sowie Geldstrafen geahndet werden (Zeit Online). Mit dieser Gesetzgebung reiht sich Burkina Faso damit in eine weltweite Tendenz wachsender Queerfeindlichkeit ein. Auch auf dem afrikanischen Kontinent verabschiedeten in den letzten Jahren mehr und mehr Länder Anti-Homosexualitätsgesetze, darunter Uganda und Ghana. Nach Angaben von Zeit Online ist Homosexualität in rund 30 Ländern auf dem afrikanischen Kontinent illegalisiert. In den ehemals britisch kolonisierten Staaten stammen viele queerfeindliche Gesetze oft noch aus der Kolonialzeit. In Burkina Faso, das französisch besetzt war, wurde Homosexualität bisher noch nicht offiziell kriminalisiert. Jedoch gilt ein Großteil der Bevölkerung als queerfeindlich. Bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes erlitten LSBTIQ*-Personen Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt im Land. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Outright International gibt es Berichte von willkürlichen Verhaftungen und Erniedrigungen queerer Menschen durch die Polizei. Trans* Personen haben keine Möglichkeit zur rechtlichen Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität und kaum Zugang zu trans*spezifischer medizinischer Versorgung.
50 Jahre SchwuZ: Symbol, Schutzraum oder Auslaufmodell?
19. August 2025Weiterlesen Auf seiner Webseite erklärte das Team: „SchwuZ hat Insolvenz angemeldet – aber wir kämpfen weiter.“ Als Rettungsmaßnahme wurde die sogenannte „Unlimited-Karte“ ins Leben gerufen, mit der Unterstützer*innen dem Club finanziell unter die Arme greifen können. In der Selbstbeschreibung heißt es: „Als einer der größten queeren Clubs Europas ist SchwuZ seit fast 50 Jahren mehr als nur ein Ort zum Feiern. Es ist ein Zuhause, ein Schutzraum, ein Ort für queere Kunst, Community und Widerstand.“ Gegründet 1977 in Kreuzberg, war das SchwuZ bereits zwei Jahre später Mitinitiator der ersten Christopher Street Day-Parade in Berlin und der Gründung des queeren Magazins Siegessäule. 2013 zog der Club in größere Räumlichkeiten nach Neukölln – mit Platz für bis zu 1.000 Feiernde. Doch dieser Schritt könnte sich rückblickend als riskant erwiesen haben, so die Bilanz des Guardian. Laut Rundfunk Berlin Brandenburg RBB teilte Insolvenzverwalterin Susanne Berner mit, dass vor allem die Folgen der Coronapandemie und das sogenannte „Clubsterben“ zur aktuellen Lage beigetragen hätten. Bereits im Mai kürzte das SchwuZ seine Öffnungszeiten, entließ ein Drittel der Belegschaft (33 Personen) und startete eine Crowdfunding-Kampagne, die lediglich 3.000 € von den angestrebten 150.000 € einbrachte. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind jedoch nicht allein pandemiebedingt. Inflation, steigende Mieten und eine sich wandelnde Partykultur setzen vielen Berliner Clubs zu. Auch Managementprobleme und eine alternde Stammkundschaft werden als Gründe genannt. In den Kommentarspalten des RBB-Artikels äußern Nutzer*innen Kritik: Die Lage des Clubs in einer dunklen Ecke Neuköllns sei abschreckend, die Preise zu hoch, die Musik veraltet. Dabei ist das SchwuZ ist nicht der einzige Club, der in jüngster Zeit schließen musste. Der Busche Club, gegründet 1988 in Ost-Berlin, machte nach 40 Jahren dicht. Auch das Watergate am Spreeufer schloss zum Jahreswechsel 2024 und die Wilde Renate kündigte ihr Aus zum Jahresende an – wegen eines Mietstreits. Diese Entwicklungen werfen eine grundsätzliche Frage auf: Wann wird ein Club zur Institution – und wann ist es Zeit für neue Formate? Die Antwort liegt nicht bei den Betreiber*innen, sondern bei den Nutzer*innen. Besonders bei kommerziell ausgerichteten Clubs wie dem SchwuZ muss kritisch hinterfragt werden, ob das Angebot noch zeitgemäß ist oder ob sich die Bedürfnisse der LSBTIQ*-Community verändert haben. Hinzu kommt: Die steigenden Mietpreise sind keine natürliche Entwicklung, sondern Entscheidungen von Immobilieneigentümer*innen (bzw. Immobilienunternehmen). Die Kommerzialisierung, wie wir sie in unserem Artikel zur World Pride 2023 in Sydney kritisiert hatten, ist bei Clubs nicht zwangsläufig problematisch – solange klar ist, dass nicht jede Einrichtung einen politischen oder symbolischen Anspruch erfüllen muss. Wenn sich Veranstalter jedoch auf die Symbolik berufen, müssen sie auch die Frage beantworten, welchen Beitrag sie über das reine Partyangebot hinaus leisten. Diese Frage stellt sich auch für potenzielle Investor*innen, die über die zukünftige Strategie des Clubs entscheiden. Das SchwuZ steht somit exemplarisch für eine größere Frage: Wann wird eine kulturelle Einrichtung zur Institution – und wann ist es an der Zeit, neue Räume, Formate und Bedürfnisse anzuerkennen, statt alte Strukturen um jeden Preis zu bewahren? Die LSBTIQ*-Szene braucht beides: Orte der Erinnerung und Orte der Erneuerung und sie braucht den produktiven Streit darum.
Weiterlesen Am 17. Mai 2025 eröffnete Flensburg die CSD-Saison mit einem bunten Demonstrationszug unter dem Motto „Hier & Queer – jetzt erst recht!“. Die Route führte vom Hafen über den Südermarkt durch die Innenstadt. Am 5. Juli versammelten sich rund 500 Menschen zum CSD in Neumünster. Auch hier wurde gefeiert und gleichzeitig für queere Rechte gekämpft – ein wichtiges Signal aus der Region, wie der NDR in seinem kurzen Überblick vom 26. Juli zur bisherigen Saison berichtete und zudem hervorhebt, dass der CSD neben den Festlichkeiten immer auch eine politische Demonstration für Gleichberechtigung darstellt. In Kiel verzeichnete der CSD am 12. Juli sogar einen neuen Rekord: Mit über 6.000 Teilnehmenden verdoppelte sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr. Die wachsende Beteiligung an den CSD-Veranstaltungen in Schleswig-Holstein ist ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, wie engagiert und lautstark sich die Menschen hier für Vielfalt, Toleranz und queeres Leben einsetzen. Der CSD schafft es dabei, ein gesellschaftlich relevantes und ernstes Anliegen – nämlich das Eintreten für Würde und Gleichberechtigung – in ein buntes, lebensfrohes Fest zu verwandeln. So wird aus politischem Engagement ein gemeinschaftliches Erlebnis, das Mut macht und verbindet. Bis Anfang September sind noch drei Veranstaltungen geplant: CSD Lübeck am 15. & 16. August 2025 CSD Elmshorn am 6. September 2025 CSD Wacken am 27. September 2025 Die Termine findet ihr auch unter: csd-schleswig-holstein.de – bereitgestellt vom Verband Queere Vielfalt in Schleswig-Holstein (LSVD+).
„Outing“ und „Coming-out“: Zur Abgrenzung der Begriffe
15. April 2025Weiterlesen Auf den Punkt gebracht bedeutet „Outing“, dass jemand anderes die sexuelle Orientierung einer Person öffentlich macht – zumeist gegen deren Willen. Im Gegensatz dazu bedeutet ein „Coming-out“ die freiwillige Entscheidung einer Person, ihre Sexualität offen auszusprechen. Im Deutschen hat sich dazu der Anglizismus „outen“ etabliert. Dabei wird die Bedeutung von „Coming-out“ auf „Outing“ übertragen. Das Wörterbuch für Anglizismen – so Dirk Naguschewski, Redaktionsleiter beim Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in „Wörter aus der Fremde“ – weist allerdings darauf hin, dass im Englischen „to out oneself“ als Verb nicht existiert und der Ausdruck „to come out“ nicht mit dem Ausdruck „to out somebody“ gleichgesetzt werden kann. Im Deutschen wird hingegen vorrangig von Outing gesprochen. Besonders der Begriff „Selbst-Outing“ unterstreicht dabei den Trend, dass das „Coming-out“ immer häufiger ersetzt wird. Hinzu kommt, dass das „Outen bzw. Outing“ nicht nur in Bezug auf die Sexualität Verwendung findet. Entsprechend definieren sich zwei Bedeutungen: Damit haftet qua Definition dem „Outen“ automatisch eine negative Bedeutung an. Solange nämlich das Veröffentlichen auch nur von „kleinen Schwächen und Fehlern“ als Outen verstanden wird, bedeutet das indirekt, dass auch das Veröffentlichen der sexuellen Orientierung in eben jener Kategorie der „kleinen Schwächen und Fehler“ gedacht werden kann. In einem lesenswerten Artikel vom 1. April greift das Magazin L-Mag in einem kurzen historischen Abriss die begriffliche Entwicklung auf und gibt so einen Einblick in die bedeutsame Unterscheidung. Etabliert wurde der Begriff „Outing“ 1991 von Rosa von Praunheim, der in der RTL-Talkshow „Der heiße Stuhl“ öffentlich über die Homosexualität von Alfred Biolek und Hape Kerkeling sprach. In den 1990er-Jahren wurde das Outing als politisches Mittel verstanden, um Sichtbarkeit zu schaffen und Gleichbehandlung einzufordern, etwa durch die New Yorker Aidshilfe-Gruppe ACT UP. Die Gruppe veröffentlichte zwanzig Prominente in einer Plakatkampagne mit dem Ziel, jungen homo- und bisexuellen Menschen Vorbilder zu präsentieren. Sie wollten so die Gesellschaft zum Umdenken bewegen, besonders während der Aids-Krise, als Schwule oft nur als „Aidskranke“ wahrgenommen wurden. Bis heute bleibt diese Kampagne allerdings umstritten. Weniger umstritten ist hingegen laut L-Mag „das Anprangern heimlich schwuler Amts- und Würdenträger, die sich [in ihren Amtshandlungen] homophob verhielten“. Doch wo liegt hier die genaue Grenze? Selbst wenn Kerkeling und Biolek ihr „Outing“ im Nachhinein als Befreiung ansahen, bleibt der Akt ein Eingriff in die Privatsphäre. Das bleibt er auch, wenn er als politisches Instrument genutzt wird. Während allerdings Amts- und Würdenträger*innen als „Funktionsträger*innen“ dafür honoriert werden, in der öffentlichen Debatte etwas zu repräsentieren, und auch Prominente im wörtlichen Sinne von der Öffentlichkeit leben, sieht dies bei Menschen außerhalb dieser Einkommens- und Machtbereiche deutlich anders aus. Damit bekommt der Diskurs, ob „Outing“ überhaupt als politisches Mittel genutzt werden sollte, zumindest eine erste orientierende Einschränkung: Je geringer die Handlungsmacht einer Person, desto eher lautet die Antwort „Nein“. Um es klar zu sagen: Werden die Widersprüche von Amts- und Würdenträger*innen aufgezeigt, ist das Teil ihres Job-Risikos. Äußert sich eine Person in einem mehr oder weniger privaten Umfeld abfällig oder „homophob“, legitimiert es nicht im Gegenzug, die Selbstbestimmung und damit die Würde dieses Menschen zu verletzen, indem er „geoutet“ wird. Aber selbst, wenn man sich in einigen Fällen darauf einigen würde, dass das „Outen“ von Personen legitim sei, bleibt dabei der negative Beigeschmack, dass die Sexualität einer Person als etwas Negatives, ein „Fehler“ – zumindest für sie und ihr Umfeld – gedacht wird. Idealerweise wäre es irgendwann egal, weil sexuelle Orientierungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung überhaupt nicht mehr als Problem wahrgenommen würden. Solange dies allerdings nicht der Fall ist, bleibt die sprachliche Unterscheidung von Bedeutung. Gleichzeitig folgt daraus explizit kein Plädoyer für eine Debatte. Wer sich „selbst outen“ möchte, sollte dies ebenso tun können wie eine Person, die ihr „Coming-out“ hat, ohne dass jemand Drittes deshalb einen sprachlichen Schluckauf bekommt.
Homosexueller Propst aus Itzehoe erhält Drohbrief
20. Februar 2025Weiterlesen Steffen Paar äußerte sich oft zu Themen wie Migration und Klimawandel. Diese Äußerungen wurden in dem Drohbrief als Lügen diffamiert. Die Absender drohen Paar damit, dass sie wüssten, wo er lebe und seinen Partner kennen würden. Auch seine Sexualität wird negativ in dem Brief hervorgehoben. Die Absender unterzeichnen als sogenannte „Sturmfront Schleswig-Holstein“, die laut dem Brief als „Patriotischer Untergrund der AfD und Bauernschaft“ agieren würde. Das AfD-Logo wurde verwendet, ebenfalls das Logo der schleswig-holsteinischen Landvolk-Bewegung. Auf Anfrage des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf äußerte sich die Bundesgeschäftsstelle der AfD, dass die Partei nichts mit der erwähnten Vereinigung sowie dem Brief zu tun hätte. Auch der Bauernverband Schleswig-Holstein distanzierte sich von dem Brief. Steffen Paar ging nicht auf die Drohungen ein. Er lasse sich nicht einschüchtern, so der queere Propst in seiner Stellungnahme zum anonymen Brief. In dieser klagt er an, dass auch, wenn die AfD mit dem Brief nichts zu tun habe, „Vertreter:innen dieser Partei […] mit ihren Äußerungen und ihrem Handeln den Nährboden dafür“ schaffen würden. Er warnt: „Es geht um viel. Wenn eine Partei wie die AfD weiter an Macht gewinnt, wird niemand mehr sicher sein. Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“. Paar hat bereits Strafanzeige erstattet. Laut Angaben des Spiegel ermittelt nun der Staatsschutz. Scheinbar wurden mehrere anonyme Briefe mit AfD-Logo in Schleswig-Holstein verschickt, darunter auch an die Fraktionsvorsitzende der SPD im schleswig-holsteinischen Landtag Serpil Midyatli sowie den Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter (Süddeutsche Zeitung).
Weiterlesen Vor diesem Hintergrund bemängelt die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS e.V.), dass viele reguläre Sportangebote immer noch stark von Homo-, Inter- und Transfeindlichkeit geprägt sind, was viele LSBTIQ*-Menschen dazu bringt, sich zurückzuziehen. Aus diesem Grund bietet die BISS unter dem Motto „Fit im Alter“ interessierten älteren schwulen Männern einen „Such-Service“ an. Bereits seit den 1980er Jahren haben sich in großen Städten schwule und queere Sportvereine gebildet, die einen Safe Space anbieten. Auch bezeichnen sich mittlerweile immer mehr reguläre Sportvereine als queerfreundlich, was grundsätzlich zu befürworten ist. Die BISS empfiehlt jedoch, bei Letzteren stets nachzufragen, wie sich diese Vereine in Bezug auf Homo-, Inter- und Transfeindlichkeit positionieren. Gerade wenn Sport unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsförderung betrieben wird, ist ein Safe Space umso bedeutsamer. Wer also nach einem Verein in seiner Region sucht, findet über den Such-Service der BISS eine erste mögliche Quelle. Doch auch für diejenigen, die nicht sportlich aktiv sind, bietet die BISS interessante Adressen zu Themen wie Freizeit, Kultur, Beratungsstellen, Wohnen im Alter und HIV. Allerdings ist die Suchfunktion der BISS etwas unübersichtlich, da sie nur nach Kategorie oder Bundesland sortiert ist. In Schleswig-Holstein werden zum Beispiel die Gruppen „Reife Früchte Kiel“, „BISS Lübeck“ und „Schwuler Seniorenkreis Kreis Storman“ angezeigt. Diese Vereine bieten auf den ersten Blick allerdings keine Sportangebote an, werden jedoch bei der Suche nach Sportvereinen gelistet. Es lohnt sich dennoch nachzufragen; lokale Vereine kennen häufig die Angebote ihrer Region am besten. Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Bundesländer: Fragen kostet nichts! Außerdem sind Personen, die Mitglied in einem schwulen und/oder queeren Sportverein sind oder eine nicht sportartspezifische Gruppe organisieren, herzlich eingeladen, sich mit der BISS in Verbindung zu setzen: Telefon: 0221 - 29 49 24 17 Nutzen Sie die Gelegenheit, ein Sportangebot zu finden, selbst zu organisieren oder Ihren Verein weiterzuempfehlen.
E-Mail: biss@schwuleundalter.de
Bürozeiten: Montag bis Freitag 9 - 15 Uhr
Ausstellung im Schwulen Museum Berlin: „Strategien der Resilienz – Einblicke in das Leben von Eberhardt Brucks“
3. Oktober 2024Weiterlesen Der Grafiker Eberhardt Brucks (1917-2009) ist eine weniger bekannte, jedoch nicht unbedeutende Figur der deutschen Schwulenbewegung. Er zeichnete für die Schweizer Homosexuellen-Zeitschrift „Der Kreis“, zudem sammelte er reichlich Material von und zu der Bewegung seiner Zeit. In seiner Berliner Wohnung entstand eine beindruckende Sammlung, die nun dem Schwulen Museum zur Verfügung steht. Brucks Zeichnungen und Fotos sowie die etlichen gesammelten Briefe, Bücher und Bilder der Zeit geben Einblicke, wie und wo queere Lebensweisen in der Nachkriegszeit ausgelebt wurden. Als schwuler Mann war Brucks von der politischen Verfolgung der Nationalsozialisten betroffen. Doch auch danach war das Ausleben queerer Lebensweisen nicht einfach: Der in der Nazi-Zeit erhobene Paragraf 175, welcher sexuelle Handlungen zwischen Männern als strafbar definierte, war bis 1994 in Kraft. Dennoch fand Eberhardt Brucks stets Wege, seine Identität auszuleben. Die Ausstellung möchte einen „besonderen Einblick auf das Leben eines schwulen Mannes [ermöglichen], das in bemerkenswerter Weise von Resilienz geprägt war: der Fähigkeit, schwierige Situationen oder Krisen zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.“ Diese resilienten Fähigkeiten „beinhalten spielerische Herangehensweisen und schützten ihn vor den Systemen, machten ihn handlungsfähig, ermöglichten ihm Partnerschaften, körperliche Selbstermächtigung und Räume der Freude.“ Mit den Arbeiten von vier zeitgenössischen Künstler*innen soll in der Ausstellung die Resilienz Eberhardt Brucks mit gegenwärtigen queeren Positionen verknüpft werden. Die Ausstellung wird kuratiert von neo seefried und läuft vom 18. Oktober 2024 bis zum 28. April 2025. Weitere Informationen auf der Webseite des Schwulen Museums Berlin.
Affenpocken-Impfung: Trotz Fortschritten – mangelnde Abrechnungsvereinbarungen gefährden Schutz der Risikogruppen
5. September 2024Weiterlesen Seitdem ist einiges passiert. Nachdem die Ständige Impfkommission (STIKO) zunächst empfohlen hatte, dass vor allem Risikogruppen geimpft werden sollten, allerdings nur mit einer ersten Dosis, da nicht genug Impfstoff vorhanden sei, stehen mittlerweile weitere Impfdosen zur Verfügung. Der Ausbruch ist laut der STIKO allerdings noch keineswegs beendet. Laut STIKO sei „[…] die Komplettierung [der] begonnenen Impfserien durch eine zweite Impfstoffdosis dringend notwendig.“ „Auch bisher noch nicht geimpfte MSM [Männer, die Sex mit Männern haben], die bei häufigem Partnerwechsel besonders gefährdet sind, sollten das Impfangebot mit zwei Impfstoffdosen baldmöglichst wahrnehmen, um dauerhaft geschützt zu sein“, so die STIKO weiter. Doch die Impfsituation ist nicht ganz eindeutig. Laut der Deutschen Aidshilfe übernehmen die gesetzlichen Kassen zwar die Kosten für solche Versicherte, für die die STIKO-Empfehlung gilt, und auch die privaten Kassen übernehmen oft diese Kosten. Allerdings sollte dies gerade bei den privaten Kassen vorab mit den Versicherungen geklärt werden. Mit Stand vom 1. September 2024 gilt in den meisten Bundesländern noch keine Impfvereinbarung. Das bedeutet, dass in diesen Bundesländern selbst Personen, die einen Anspruch haben, unabhängig davon, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind, zunächst in Vorkasse gehen müssen. Laut Aidshilfe belaufen sich die Kosten pro Dosis auf „mindestens 200 Euro allein für den Impfstoff“. Hinzu kommen Arztkosten von ca. 10 Euro sowie mögliche Versandkosten. Bei zwei nötigen Dosen für einen vollständigen Schutz sind das über 420 Euro, die ein*e Patient*in in Vorkasse zahlen muss. Laut Angaben des Ärzteblattes „[…] gibt es bisher in fünf Bundesländern Abrechnungsvereinbarungen für Imvanex [so der Name des Impfstoffes].“ Neben Berlin, das am 1. September 2024 eine Vereinbarung mit den Krankenkassenverbänden und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) getroffen hat, gibt es Abrechnungsvereinbarungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein. „Keine Rückmeldung gab es bislang dazu aus Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen-Anhalt gibt es offenbar eine Vereinbarung mit dem Land. In allen anderen Bundesländern gibt es bisher keine Abrechnungsvereinbarung.“ Genau hier liegt ein Problem für die Prävention einer Pandemie. Selbst wenn anerkannten Risikogruppen die Kosten erstattet werden, stellt der Betrag von über 420 Euro eine Hürde dar, die vor allem Menschen in prekären ökonomischen Lebenslagen trifft. Solange es also noch Bundesländer ohne Abrechnungsvereinbarungen gibt, ist die Struktur nicht nur diskriminierend, sondern in ihrer Schutzfunktion auch für dritte Personengruppen lückenhaft.