Weiterlesen Hier setzt die Kampagne STOP the HATE an. Sie konzentriert sich auf Unterstützung, Prävention und Aufklärung, um Betroffene von Hasskriminalität zu schützen und die Gesellschaft zu sensibilisieren. Bereits im vergangenen Jahr berichtete Echte Vielfalt über die Initiative, die darauf abzielt, Menschen zu empowern und für eine sichere Gesellschaft einzutreten. STOP the HATE hat den Anspruch , die Betroffenen auf die Anzeigenerstattung und deren mögliche Folgen vorzubereiten sowie die richtigen Kontakte zur Polizei bereitzustellen. Darüber hinaus helfen die Mitarbeiter*innen bei der Bekämpfung von Hass im Internet und unterstützen das Löschen schädlicher Inhalte. Zusätzlich organisiert die Kampagne Workshops, in denen Teilnehmende lernen, Hass zu erkennen und aktiv dagegen vorzugehen. Auch Zivilcourage spielt eine große Rolle: Das Netzwerk Echte Vielfalt vermittelt Hilfe und zeigt auf, warum es entscheidend ist, Stellung zu beziehen. Die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein und die Landespolizei Schleswig-Holstein mit der Zentralen Ansprechstelle LSBTIQ* unterstützen STOP the HATE aktiv. Die Kampagne bietet betroffenen Personen professionelle Hilfe, insbesondere bei der schwierigen Entscheidung, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Dabei werden nicht nur die Tat selbst, sondern auch das persönliche Erleben und individuelle Identitätsfragen sensibel berücksichtigt. Klare Grenzen gegen Hass – ein notwendiger Schutzraum Hasskriminalität betrifft nicht nur körperliche Gewalt, sondern schließt auch verbalen und symbolischen Hass mit ein. Dabei ist Hass eine zweischneidige Angelegenheit, bei der es wichtig ist, zwischen struktureller Diskriminierung – verursacht durch Ignoranz oder fehlendes Wissen – und gezielten, hasserfüllten Taten zu unterscheiden. Während strukturelle Diskriminierung durch Bewusstseinsbildung und Reflexion angegangen werden kann mit dem Ziel, das Gegenüber abzuholen, braucht Hasskriminalität eine klare und direkte Grenze. Eine Anlaufstelle wie STOP the HATE ist daher nicht nur eine notwendige Unterstützung für Betroffene, sondern auch eine selbstverständliche Institution in einem Rechtsstaat wie Deutschland. Sie hilft dabei, eine starke Gemeinschaft zu formen, die sich gegen Hass stellt und ein deutliches „Nein“ zu Hate Crime gegen Queers ausspricht – „für eine Gesellschaft, in der Respekt und Toleranz an erster Stelle stehen“. Hier geht es zum offiziellen Flyer von STOP the HATE.
Erfahrungen
Weiterlesen Bereits in unserem Artikel „LGBTIQ* und das Leben auf dem Land“ aus dem vergangenen Jahr haben wir dieses Thema beleuchtet. Trotz der Schwierigkeiten gibt es Hoffnung: Initiativen wie „Allgäu Pride“ aus Bayern oder „Queere Worte – Queere Orte“ aus Hessen setzen sich aktiv für mehr Sichtbarkeit und Vernetzung ein. In Fulda wurde die „Queere Stunde“ ins Leben gerufen, bei der Gleichgesinnte an wechselnden Orten zusammenkommen, um Kontakte zu knüpfen. Schleswig-Holstein bietet ebenfalls Stammtische, wobei diese vermehrt in städtischen Regionen zu finden sind. Zwar haben rechtliche Errungenschaften wie das Selbstbestimmungsgesetz Fortschritte gebracht, doch sie ändern nicht unmittelbar die Lebensrealität vieler queerer Menschen auf dem Land. Vorurteile bleiben bestehen, und strukturelle Herausforderungen erschweren die Akzeptanz. Projekte wie „Allgäu Pride“ versuchen, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, doch es mangelt an politischer Unterstützung und finanziellen Mitteln. Besonders in wirtschaftlich schwächeren Regionen ist Engagement gefordert, damit queeres Leben sichtbarer und selbstverständlicher wird. Finanzielle Förderung spielt dabei eine Schlüsselrolle. Ohne Investitionen in soziale und infrastrukturelle Maßnahmen bleibt die Auseinandersetzung mit queerem Leben oft oberflächlich oder wird verdrängt – in manchen Fällen wird sie sogar mit Hass betrachtet. Es braucht ganzheitliche Konzepte, die alle Menschen in ländlichen Regionen einbeziehen und Vorurteile abbauen. Ein anekdotischen Einblick in die Realität queerer Menschen auf dem Land bietet die Dokumentation „Queer in der Provinz“ des MDR aus dem Mai 2025. Die Sendung begleitet vier Personen auf ihrem Weg zu mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz: Die Dokumentation verdeutlicht, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist – und dass die Provinz nicht nur als Gegensatz zur Großstadt existiert, sondern Raum für Vielfalt bieten kann. Ländliche Regionen dürfen nicht mit Ausgrenzung gleichgesetzt werden. Entscheidend ist daher eine Kombination aus politischem Druck für Investitionen in Infrastruktur und dem tatkräftigen Engagement der LGBTIQ*-Community. Vereine und Initiativen sowie all jene, die über genug Energie verfügen, um über die eigenen Interessen hinaus aktiv zu werden, tragen dazu bei, inklusive Räume zu schaffen, die allen Menschen offenstehen.
Politik, Recht und Identität: Zum Stellenwert der Pride-Flagge in Gesellschaft und Gesetz
20. Mai 2025Weiterlesen Laut NDR haben Unbekannte in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai erneut Regenbogenflaggen von Brücken entfernt. Später fand man diese zerschnitten auf den Bahngleisen. Der Staatsschutz ermittelt. In Deutschland kann das Verbrennen von Pride-Flaggen als symbolische „böswillige Verächtlichmachung“ gegen eine Gruppe oder einen Teil der Bevölkerung verstanden werden. Damit würde es sich nach §130 StGB um Volksverhetzung handeln. Während solche Angriffe in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, bleibt eine Verfolgung jedoch immer reaktiv. In den USA hingegen zeigen einige Städte, dass es auch einen proaktiven Weg gibt: Sie erklären die Pride-Flagge offiziell zum Symbol, um gesetzliche Einschränkungen zu umgehen und ein klares Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz zu setzen. Zwar reagieren sie damit auf einen Angriff auf die Freiheit durch die Bundesstaaten selbst – etwas, das in Deutschland nicht der Fall ist –, doch gleichzeitig zeigen sie, dass nicht nur Rechtspopulismus und ultrakonservative Kräfte den Rechtsstaat und seine Instrumente nutzen können. In einigen republikanisch geführten Bundesstaaten der USA – insbesondere Idaho und Utah – wurden inoffizielle Fahnen an öffentlichen Gebäuden verboten, darunter auch die Regenbogenflagge, so berichtet der RND in einem Artikel vom 14. Mai 2025. Um dem entgegenzuwirken, haben sich Städte wie Boise und Salt Lake City dazu entschlossen, die Flaggen offiziell zu einem Symbol der Stadt zu erklären. Kathy Corless, Stadträtin von Boise, betont, dass es sich bei dem Verbot nicht um eine bloße politische Aktion, sondern um eine klare Zensur handelt. Dies ist umso schwerwiegender, da „Zensur“ genau der Vorwurf ist, der inflationär aus dem konservativen Trump-nahen Lager kommt. Auf dem Instagram-Kanal von Salt Lake City heißt es: Die Stadtverwaltung hat einstimmig drei neue Stadtflaggen genehmigt, die von der Bürgermeisterin vorgeschlagen wurden. Alle enthalten das Symbol der Sego-Lilie, das bereits auf der aktuellen Stadtflagge zu sehen ist und für Widerstandsfähigkeit, Akzeptanz und Zugehörigkeit steht. Chris Wharton, Vorsitzender des Stadtratsbezirks 3, betont, dass die Pride-Flagge ein Symbol für gemeinsame Werte und Menschlichkeit sei. Angesichts der staatlichen Einschränkungen für Fahnen an öffentlichen Gebäuden sieht er es als wichtigen Schritt, dass die Stadt ihre Werte weiterhin innerhalb des gesetzlichen Rahmens vertreten kann. Der Politikwissenschaftler Christian Lammert bewertet diese Maßnahme gegenüber dem RND als mehr als reine Symbolpolitik. Seiner Ansicht nach sendet sie eine starke Botschaft für Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung – mit potenziell positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Städte. Diese Entscheidung verdeutlicht auch die politischen Spannungen zwischen republikanisch dominierten Bundesstaaten und demokratisch geführten Stadtverwaltungen. Sie zeigt zudem, dass sich nicht nur Rechtspopulisten das Recht zunutze machen können. Die Flaggen sind ein Beispiel dafür, dass auch Verwaltungs- und Zivilrecht zu einem Schutzwall werden können. Allerdings hängt es maßgeblich davon ab, wie sie von den jeweiligen Institutionen – ob kommunal oder nicht – interpretiert und angewandt werden. Am Ende braucht es immer wieder Menschen – hier Politiker*innen –, die Recht erlassen, anwenden und darüber hinaus auch zivile Akteure, die solches Recht einfordern.
Die Wurzeln des Männlichen: Eine Programmempfehlung
22. April 2025Weiterlesen Dabei liefert sie einen Rundumschlag von der Antike bis in die heutige Zeit und schafft es, die „Uneindeutigkeit“ von Männlichkeit erkennbar werden zu lassen, an der sich bis heute nichts geändert hat. Durch den historischen Rückblick wird deutlich, dass Männlichkeit oft in einem Spannungsfeld zwischen unerreichbaren Idealen und gesellschaftlichen Erwartungen stand und steht, die von Krieg und Hierarchien geprägt sind. Die Doku hinterfragt, ob Männer wirklich stark, potent und unverwundbar sein müssen, und zeigt auf, wie diese Ideale oft zu einer Überforderung und einem Scheitern führen. Damit steht sie in einem deutlichen Gegensatz zum aktuellen öffentlichen und politischen Diskurs wie zum Beispiel um eine Reaktivierung der Wehrpflicht. Gleichzeitig wird deutlich, dass Männlichkeit keineswegs die „selbstbestimmte“ Machtposition ist, als die sie immer verkauft wurde. Männlichkeit wird stark von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen „Codes“ sowie elterlichen Vorbildern und sozialen Medien geprägt. Diese Einflüsse bestimmen, wie Männer ihre Identität und ihr Verhalten formen. Dabei ist Männlichkeit keine individuelle Eigenschaft, sondern basiert immer auch auf routinierten und unhinterfragten Glaubenssätzen, die von der Kindheit bis ins Arbeitsleben verinnerlicht werden. Teilweise werden diese Rollenbilder dabei konkret abgewendet, um Männer dazu zu bringen, sich blind einer Sache zu opfern wie bspw. Krieg, an dessen Ende sie gebrochen oder tot herausfallen. Am Ende steht die Aufforderung: „Damit Männer ihren Blick auf Frauen ändern, müssen sie ihren Blick auf sich selbst ändern.“ Wer das kann, soll es tun. Diese Selbstermächtigung ist jedoch keine rein individuelle Angelegenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es zeigt sich, dass Männlichkeit oft wie ein ideologisches Gefängnis wirkt, insbesondere für Männer außerhalb von Machtpositionen. Aktuell wird Männlichkeit weiterhin oft reaktionär gelebt, sei es in der Rolle des Soldaten oder des „toxischen“ Karrieresubjekts à la „Wolf of Wall Street“.
Um allerdings mit diesen Narrativen zu brechen, braucht es mehr als nur den Willen. Ein solcher Bruch gelingt nur, wenn gleichzeitig alternative positive Visionen von Männlichkeit angeboten werden. In der Doku finden sich hierzu einige Künstler*innen. Einen breiten Entwurf positiver Männlichkeitsbilder lässt sie allerdings offen. Eine absolute Empfehlung für alle, die sich mit den gesellschaftlichen und kulturellen Konstruktionen von Männlichkeit auseinandersetzen möchten.
Veranstaltungshinweis: Revolution und Care – Fürsorge und Solidarität in extremen Kontexten
28. Januar 2025Weiterlesen Am 10. Februar spricht sie in Hamburg mit Hanna Grześkiewicz, Programmleitung bei filia, über die Rolle von Care-Arbeit in revolutionären Kontexten, insbesondere in Belarus. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen die Erfahrungen politischer Gefangener. Shparaga beschreibt, wie Fürsorge und Solidarität unter Frauen und queeren Personen auch unter extremen Bedingungen bestehen. Sie thematisiert zudem die Bedeutung von Care-Arbeit im belarussischen Exil und deren Beitrag zu einer demokratischen Vision. Neben dem Interview liest die Schauspielerin Marion Gretchen Schmitz Texte von Olga Shparaga. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Hamburger Tage des Exils statt. Der Eintritt ist frei. Eckdaten Termin: Montag, 10. Februar 2025, 19:30 Uhr Ort: Gemeindesaal St. Petri, Schmarjestraße 33, Hamburg-Altona Anmeldung per Mail an: info@filia-frauenstiftung.de
Zur aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland
26. September 2024Weiterlesen Die Ursachen dafür sind vielfältig und sollten keineswegs nur auf einen Nenner gebracht werden. Gleichzeitig wäre es ignorant, nicht zuzugestehen, dass es die sozioökonomischen Lebensumstände einiger Menschen sind, die dazu beitragen, dass sie sich immer stärker radikalisieren. Hierbei geht es nicht darum, dass sich Menschen, denen es ökonomisch schlechter geht, automatisch unsolidarisch verhalten. Sondern um das Verschieben der sozialen Last durch den Populismus auf die Schultern des marginalisierten Individuums. So schreibt bspw. Bundesfinanzminister Christian Lindner auf der Seite seines Ministeriums: „Zum einen werden die Anforderungen verschärft gegenüber denjenigen, die das Bürgergeld beziehen. Mitwirkungspflichten – wenn man also einen Termin verpasst, dann wird das Bürgergeld um 30 Prozent für drei Monate reduziert. Wer Bürgergeld bezieht, muss sich einmal im Monat bei der Behörde melden. Dadurch soll auch der Kontakt und der Vermittlungserfolg verbessert werden.“ Liest man sich diese Formulierungen durch, könnte man den Eindruck bekommen, man hätte es mit Straftäter*innen zu tun, die ihre Auflagen erfüllen müssten. Diese Formulierung wirkt, denn ihr ideologisches Prinzip wird im Kopf auch auf Asyl und andere Sozialhilfen angewandt. Völlig unabhängig davon, ob Personen selbst solche Hilfen beziehen, wird suggeriert, hilfebedürftige Menschen seien schlecht und vor allem selbst schuld. Dabei wird ignoriert, dass jegliche soziale Hilfe – wenn sie berechtigt ist – eine Maßnahme zur Erfüllung des Grundrechts auf ein würdevolles Leben darstellt. Aber auch faktisch sprechen die Zahlen eine andere Sprache, wie Franz Segbers, emeritierter Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie an der Philipps-Universität Marburg, im Interview mit der Tagesschau aufzeigt: Zieht man nämlich von den rund 5,5 Millionen Arbeitslosen rund ein Drittel Kinder und Jugendliche ab sowie jene, die nicht arbeiten können, dann kommt man nur noch auf 1,7 Millionen. Davon wiederum begehen nur noch 16.000 Fälle sogenannten „Sozialbetrug“. „Wenn wir das umrechnen, sind das im Monat etwa 1.300 Menschen. Das ist bei 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehern eine marginal kleine Gruppe. Wenn wir diese Quote bei Steuerbetrügern hätten, hätten wir eine traumhafte Quote. Aber darüber wird nicht diskutiert, sondern es wird über diese kleine Gruppe von Totalverweigerern geredet.“ Es ist diese Diskursverschiebung bei gleichzeitiger Stagnation der Reallöhne, die dazu beiträgt, dass in den Köpfen eine Verbindung zwischen dem eigenen „Nicht“-Wohlergehen und marginalisierten Gruppen entstehen kann. Auch hier gilt: Diese Verbindung ist nicht selbstverständlich, aber sie ist auch nicht völlig ausgeschlossen und wird von Populist*innen genutzt. Vor diesem Hintergrund bieten Zahlen der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt „ein deutliches Warnsignal, die Entwicklungen im gesellschaftlichen Gefüge nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.“ Demnach ist der Index für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt von Beginn 2020 um neun Punkte auf 52 von maximal 100 Punkten im Oktober 2023 gesunken. Zwar liegt er damit immer noch in der oberen Hälfte, wie die Stiftung betont, aber die Luft wird dünner. Laut Bertelsmann Stiftung verzeichnete der Index dabei einen Rückgang in allen neun Sozialindikatoren, darunter auch „Akzeptanz von Diversität“ und „Solidarität und Hilfsbereitschaft“. War es bis jetzt schon schwierig und ein langfristiges Projekt, für die Würde und die Rechte der LGBTIQ*-Gemeinschaft einzutreten, wird das Fundament immer wackeliger. Hier haben vor allem jene die Verantwortung, die gut vernetzt sind und denen es gut genug geht, sich über die Grenzen der eigenen Gruppe hinweg für mehr Solidarität einzusetzen und sich die Frage zu stellen: Was bedeutet das politische „Nach-unten-Treten“ für mich?
Literaturfestival im LCB: „Coming Out, Inviting In“
8. August 2024Weiterlesen Coming Outs sind persönlich und doch jedes Mal aufs Neue politisch. „Längst ist das Konzept des Coming Out jedoch nicht unhinterfragt. Wie wird es aus intersektionalen Perspektiven geframed? Was bedeutet ein Inviting In? Wie sieht eine Gesellschaft aus, in der sich ein Outing erübrigt? Welche Rolle spielt die Literatur als (Auto-)fiktion, als Archiv, als Entwurf von Narrativen? Wo sind Spielfilme, Comics, Pornos Orte der Selbstimagination? Und wo (er-)findet die Lyrik ihre Sprache? Was erzählen historische Quellen? Wie recherchieren Schreibende und wie nähern sich Texte der historischen Komplexität queerer (Un-)Sichtbarkeit?“ Mit all diesen Fragen will sich das LCB dieses Jahr befassen. Gegenüber dem Tagespiegel begründete die Kuratorin Anna Hetzer: „[Es gehe darum,] wie Erfahrungen als queere Person zusammenhängen mit dem eigenen Schreiben [und] wie Film und Literatur sich gegenseitig beeinflussen. Schriftsteller*innen gucken auch Filme. Literarisch werden wir die Rolle von Archiven diskutieren und sicher das große Thema Autofiktion, das gerade in der queeren Community eine Tradition hat.“ Auf den Veranstaltungsnamens angesprochen erklärt Hetzer, dass sich beim Coming Out immer auch die Frage stelle, ob es sich um ein einmaliges Ereignis oder einen Prozess handele. Hierzu haben wir bereits in unserem Artikel „Auf der Suche nach der Wahrheit über unsere sexuelle Orientierung“ festgestellt: Sexualität ist ein Spektrum, auf dem sich Menschen bewegen, und dieses Spektrum ist nicht statisch. Im Gegenteil, es kann sich über das Leben in beide Richtungen verändern. Dabei sind wir nie außerhalb unserer sozialen Beziehungen. Wir treffen auf Ressentiments oder haben selbst welche, wie wir in unserem Artikel „Philosophische Überlegungen zur Bedeutung von Trans- und Nichtbinär-Sein“ aufgegriffen haben. Hier kamen wir allerdings auch zu dem Schluss, dass in diesen Auseinandersetzungen immer auch die Chance liegt, das eigene und gemeinschaftliche (Nach-)Denken zu schulen und das Selbst und seine Beziehungen als dynamischen Prozess zu begreifen. Auch ging es darum, dass man selbst und das Gegenüber auf die jeweils andere Person angewiesen ist, um sich zu verstehen. Das wird umso bedeutender, wenn Personen aufgrund von Gesundheit nicht mehr über das eigene Selbstbild bestimmen kann, wie es bspw. bei Demenz vorkommen kann. Was dabei die Rolle und was das „tatsächliche Selbst“ ist, bleibt für das Gegenüber zunächst offen. Ein Coming Out ist damit immer auch auf die Community, in der man sich bewegt, bezogen und kann bedeuten, dass sich eine ehemals homosexuelle Person nun zu beiden oder nur zum anderen Geschlecht hingezogen fühlt. Literatur und Film bieten hier eine faszinierende Brücke in fremde, aber immer auch in eigene Gedanken - und haben die Möglichkeit, mit allen denkbaren Kombinationen von Selbst und Rolle in Gesellschaften verschiedenster Art zu spielen. Wie Anna Hetzer ausführt, versteht die Veranstaltung unter Coming Out das Kommunizieren einer Person ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität nach außen, was sie immer auch „ein Stück weit der Reaktion von anderen aus[setzt]“. Inviting In bedeutet in diesem Zusammenhang: „Menschen werden eingeladen, zuzuhören und etwas sehr Persönliches zu erfahren. Gleich zu Beginn des Festivals gibt es eine Diskussionsrunde zu den Begriffen und ihren Perspektiven.“ Ein umfangreiches Ziel, das Erwartungsmanagement verlangt. Es wird vermutlich politisch, philosophisch und, wenn es gut läuft, auf eine positive Weise kontrovers. Auf jeden Fall darf damit gerechnet werden, dass man am Ende mit mehr offenen Fragen nach Hause geht. Interessierte finden hier das Programm.
LGBTIQ* und das Leben auf dem Land
11. Juli 2024Politische Rechtsakte wie das Gesetz zur Selbstbestimmung sind das eine, reale Strukturen das andere. So haben es LGBTIQ*-Personen auf dem Land immer noch mit tief verwurzelten Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen. Besonders in strukturschwachen Regionen fehlen oft die notwendigen Netzwerke und Unterstützungsstrukturen, was dazu führt, dass Menschen ihre Identität verstecken oder in größere Städte abwandern.
Um dem entgegenzuwirken, hat sich 2021 in Bayern der Verein „Allgäu Pride“ gegründet. Ziel des Vereins ist es, das queere Leben im ländlichen Raum von Bayern und Baden-Württemberg zu fördern. Wie das Magazin schwulissimo in einem aktuellen Artikel über Allgäu Pride schreibt, organisiert der Verein regelmäßig Stammtische und Treffpunkte für LGBTI*-Menschen, um Gemeinschaft und Unterstützung zu bieten. Besonders im ländlichen Raum bieten diese Treffen eine wichtige Plattform für Austausch und Zusammenhalt.
Der Artikel verweist dabei auf Studien, die zeigen, dass die Fälle von Hasskriminalität gegen LGBTI*-Menschen in Bayern zugenommen haben und viele Betroffene Diskriminierung in verschiedenen Lebensbereichen erfahren. Zu erwähnen wäre z.B. der neuste Bericht der EU-Agentur für Grundrechte (FRA), der zu dem Ergebnis kommt, dass LGBTIQ* Personen zwar insgesamt offener ihre Identität leben, gleichzeitig aber mehr Gewalt, Belästigung und Mobbing ausgesetzt sind als zuvor.
Auch die Hessenschau berichtete im November 2023 mit Bezug auf das Projekt "Queere Worte – Queere Orte", über das Problem der Diskriminierung und dem Verstecken queeren Lebens im ländlichen Raum. Hier zeigt sich eine deutliche Kluft in der Akzeptanz und Sichtbarkeit queeren Lebens zwischen ländlichen und urbanen Gebieten. Trotz einiger Fortschritte bleibt die Anerkennung sexueller Vielfalt in ländlichen Regionen mangelhaft. Dennoch finden sich auch in dem Bericht aus Hessen ein Beispiele für Engagement im ländlichen Raum.
In diesem Zusammenhang kritisierte die tageszeitung bereits im Juli 2021, dass politische Gesten häufig nicht die notwendigen Strukturen und Ressourcen bereithielten, um Diskriminierung und tief verwurzelten Vorurteilen und Stereotypen entgegenzuwirken. Damit wird die Arbeit von „Allgäu Pride“ zu einer Selbsthilfe, die allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es handfeste Unterstützung braucht. Im Klartext heißt das auch, Antidiskriminierung benötigt „mehr Geld“ für ländliche und strukturschwache Regionen.
Auch wenn sich die Beispiele auf Hessen und Bayern bezogen, so lässt sich auch für ländliche Regionen in Schleswig-Holstein und den übrigen Bundesländern vermuten, dass die Probleme ähnlich sein werden. Auch in Schleswig-Holstein gibt es bereits Stammtische (hier finden Sie die aktuellen Termine), allerdings sind auch diese vor allem in den Ballungszentren anzutreffen. Ein ländliches Pendant wäre hier vielleicht ein erster Schritt, gleichzeitig sollte der Politik bzgl. Infrastruktur weiter auf die Füße getreten werden.
Weiterlesen Der LSVD forderte schon vor einigen Jahren mehr Forschung zur Verfolgung von Lesben sowie trans, inter und anderen queeren Personen unter dem deutschen Faschismus. Erst 2022 erinnerte der Deutsche Bundestag erstmals am internationalen Holocaust-Gedenktag offiziell auch an die queeren Verfolgten des NS-Regimes. Dieser Beitrag soll eine (unvollständige) Übersicht über den aktuellen Forschungsstand zu insbesondere weiblichen queeren Verfolgten des Nationalsozialismus liefern. Denn vor allem die Geschichten queerer Frauen im Holocaust haben in der deutschen Erinnerungskultur noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, wie einige Historiker*innen betonen. Diese Unsichtbarkeit spiegelt sich in der historischen Aufarbeitung um Homosexualität und Nationalsozialismus wieder, in der Frauen oft marginal bleiben, so Sébastian Tremblay: „Da sich der Großteil der Erinnerungspolitik auf den §175 StGB und die Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichem Begehren und Sexualitäten in der Vergangenheit konzentrierte, erlaubte das Fehlen eines solchen ‚gespenstischen‘ Abschnitts des Strafgesetzbuchs für queere weibliche Sexualitäten queeren (meist) männlichen Historikern, neue Formen des Erinnerungsaktivismus zurückzuweisen.“ Die Historiker*innen Claudia Schoppenmann und Christian-Alexander Wäldner weisen im Portal „Lesbengeschichte“ ebenfalls auf die systematische Unsichtbarkeit lesbischer Frauen in den Archiven hin, was mitunter aus einer anhaltenden Tabuisierung weiblicher Homosexualität rühren könnte. Dennoch scheint sich in den letzten Jahrzehnten etwas in der Forschung getan zu haben: Wichtige Beiträge zur Erforschung der Verfolgung von lesbischen und anderen queeren Frauen im Holocaust lieferte Schoppmann u.a. mit ihrem Buch „Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität“ von 1997 (Springer Verlag). Eine weitere Vorreiterin in dem Forschungsfeld ist die Holocausthistorikerin Anna Hájková, die neben ihrer eigenen wichtigen Forschung[1] im Rahmen des Projekts „Sexuality and Holocaust“ eine Literaturliste mit Beiträgen zusammengestellt hat, die die Verfolgung von lesbischen und trans Frauen in der NS-Zeit erforschen. Die bereits veröffentlichten Werke sollen Anstöße dazu liefern, dass weiter zu dem Thema geforscht wird. Denn es wird gleichzeitig auf die Lücken hingewiesen, die es insbesondere im deutschsprachigen akademischen Diskurs zum Thema gibt. Unter die gelisteten Publikationen fallen diverse Beitragsformen mit unterschiedlichen Schwerpunkten: von biographischen Spurensuchen[2] zu Analysen der medizinischen, rechtlichen und politischen Diskurse um homosexuelle Frauen und die damit einhergehende Stereotypisierung weiblicher Homosexualität[3]. Die deutschsprachige Forschung zu trans Frauen in der NS-Zeit scheint noch weniger vorangeschritten zu sein, dennoch bieten Beiträge wie u.a. von Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger[4] wichtige Perspektiven, um dieses Thema weiter zu ergründen. Das Projekt „Sexuality and Holocaust“ ruft auch dazu auf, weitere Beiträge zum Forschungsfeld, die noch nicht in der Literaturliste aufgenommen sind, zu ergänzen. Solche öffentlichen und kollektiven Projekte sind wichtig, um ein möglichst breites Wissen um die Situation lesbischer, trans, inter und anderer queerer Frauen unter den Schrecken des Nationalsozialismus zu sammeln und zu verbreiten. [1] Um nur wenige zu nennen: Queere Geschichte und der Holocaust. In: APuZ, 38–39, 2018, S. 42-47; Menschen ohne Geschichte sind Staub, Wallstein Verlag, 2024. In München veranstaltet das Forum Queeres Archiv gemeinsam mit dem Buchladen Rauch & König am 27.06.2024 eine Lesung mit Anna Hájková zuihrem Buch „Menschen ohne Geschichte sind Staub“, das erst kürzlich in zweiter erweiterter Ausgabe erschienen ist. Zur Veranstaltung. [2] Tamara Breitbach: Lea Gertrud Schloß – Jüdin, Lesbe, Schriftstellerin und Sozialdemokratin: Biografischer Essay. In: Gertrud Schloß: Die Nacht des Eisens: Gedichte, Éditions trèves, 2019, S. 41-87. [3] Brunner, Andreas & Sulzenbacher, Hannes: Homosexualität und Nationalsozialismus in Wien. Mandelbaum Verlag, 2023. [4] Sexismus, Heteronormativität und (staatliche) Öffentlichkeit im Nationalsozialismus. Eine queer-feministische Perspektive auf die Verfolgung von Lesben und/oder Trans* in (straf-)rechtlichen Kontexten, in Michael Schwartz: Homosexuelle im Nationalsozialismus: Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen 1933 bis 1945, De Gruyter, 2014.
Weiterlesen Mit diesem Ausgangspunkt will sich der Fachtag „Selbstbestimmung stärken! Demokratie leben!“ einigen zentralen zivilgesellschaftlichen Fragen rund um den Umgang der demokratischen Zivilgesellschaft mit dem Rechtsruck und seinen Auswirkungen auf marginalisierte Gruppen, insbesondere die LSBTIQ*-Community, widmen. Veranstalter ist das Kompetenznetzwerk „Selbst.verständlich Vielfalt“. Auch wenn es sich bei der eingangs verwendeten Formulierung „hat die Mitte der Gesellschaft erreicht“ um eine gezielte Zuspitzung handelt, ist festzustellen, dass rechte Themen und ihre Vertreter*innen in der medialen Berichterstattung angekommen sind. Wieviel vorher allerdings bereits unausgesprochen in „der Mitte der Gesellschaft“ existierte, bleibt an dieser Stelle offen. Die Veranstaltung wird am 18. Juni 2024 von 10:00 bis 16:00 Uhr abgehalten. Auf der Webseite finden sich eine Programmübersicht sowie ein Anmeldeformular. Nach Anmeldung ist die Teilnahme kostenfrei. Zudem wird der Fachtag durch Gebärdensprachdolmetschende (DGS) und ein „Awareness-Team“ begleitet. Die Ausgangsfragen, die sich die Veranstalter*innen stellen, lauten: Unterstrichen wird die Bedeutung dieser Fragen durch eine starke Präsenz rechter Populist*innen in den sozialen Medien, wie wir am Beispiel Spaniens und der rechtspopulistischen VOX bereits aufgegriffen haben. Gerade vor dem Hintergrund der Jugendarbeitslosigkeit von 28% in diesem Land wird die sozialökonomische Sicherheit der breiten Bevölkerung zu einem zentralen Thema. Übertragen auf Deutschland und die gesamte EU lässt sich damit die Behauptung aufstellen, dass jegliche Frage, wie mit dem Rechtsruck umzugehen und ihm entgegenzuwirken sei, nicht ohne die Frage der sozioökonomischen Absicherung gestellt werden kann. Neben Vorträgen und Diskursen bietet der Fachtag außerdem die Möglichkeit, an einem von vier Workshops teilzunehmen, die anschließend ihre Ergebnisse kurz präsentieren. Dabei geht es um folgende Themen: Alle Informationen zum Ablauf und kurze Beschreibungen der Workshops, ebenso wie das Anmeldeformular, findet Ihr unter folgendem Link.