Echte Vielfalt

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„Bildung für alle – Vielfalt anerkennen, Gleichstellung“ – ist eine Broschüre der Landeshauptstadt Kiel erstellt in Kooperation mit HAKI und der Geschäftsstelle Echte Vielfalt. Die Broschüre zeigt praxisorientierte Zugänge für die Arbeit im Themenfeld Gender und Diversität. Sie bietet Impulse und konkrete Maßnahmen für die Antidiskriminierungsarbeit in eigenen Einrichtungen an. Entstanden ist das Heft im Zusammenhang mit einer mehrteiligen Veranstaltungsreihe der Bildungsregion Kiel.

Zehntausende Menschen haben am Samstag mit dem 26. CSD in Budapest – dem wahrscheinlich größten in seiner Geschichte – ein friedliches Zeichen gegen die queer-feindliche Regierung gesetzt. Diese hatte vor wenigen Wochen ein Gesetz beschlossen, welches das Verbot gewisser Inhalte, die bei Minderjährigen für Homosexualität und Geschlechtstransitionen „werben“, generell ermöglicht. Nun hetzt Orbáns Regierung gegen Brüssel, keine EU-Corona-Hilfen annehmen zu wollen, wenn sie mit einer Rücknahme des Gesetzes gegen Homo- und Trans-„Propaganda“ verknüpft würden.

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Doch während die Solidarität unter und mit queeren Menschen im In- und Ausland größer, und die Kritik an dem Gesetz lauter wird, hat das Gesetz auch zu einer Zunahme queer-feindlicher Rhetorik durch rechte Parteien in ganz Europa geführt. AfD-Chef Jörg Meuthen erklärte so etwa, dass „wenn die Ungarn die Einflüsse der LGBT-Ideologie als schädlich erachten und ihre Bürger, Werte und Traditionen vor diesen schützen möchten, dann ist das deren gutes Recht“, auch die AfD-Bundestagskandidatin Christina Baum betonte „Homo-Propaganda“ abzulehnen.

Die EU-Kommission hingegen hatte vergleichsweise schnell auf das Gesetz reagiert und vor rund zehn Tagen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn gestartet, worauf Orbán in dieser Woche mit der Ankündigung eines Referendums reagierte. Damit soll die Bevölkerung über die vermeintlichen „Kinderschutz“-Pläne der Regierung und indirekt über das Gesetz abstimmen. Außerdem kündigte Orbán an, dass Ungarn keine Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU annehmen wolle, falls Brüssel dies von einer Abschaffung des Gesetzes abhängig macht.

In diesem Jahr fand also der CSD vor dem Hintergrund dieser queer-feindlichen Politik statt, eine Politik, die sich auch in der Gesellschaft spiegelt: Als LGBTQI*s und ihre Allys zu hochsommerlichen Temperaturen mit Regenbogenflaggen und Plakaten durch die Innenstadt zogen, gab es am Rande (unter anderem von Rechtsradikalen) auch kleinere Gegenproteste, die homofeindliche Sprechchöre skandierten und Plakate wie „Stop LGBT“ hielten. Sie seien jedoch von der Hauptstadt-Polizei auf sicheren Abstand zu den queeren Demonstrierenden gehalten worden. Doch viele queere Menschen können sich auch im Alltag nicht mehr in ihrer Heimat sicher und wohl fühlen: So plant Boldizsar Nagy, welcher das queer- und Roma-inklusive Kinderbuch „Wonderland Belongs to Everyone“ mitveröffentlichte, das Land zu verlassen. Der schwule ungarische Publizist erhält noch immer täglich Morddrohungen auf Sozialen Medien und fühlt sich nicht mehr sicher – außerdem verwehrt die ungarische Regierung ihm und seinem Partner ihren Wunsch ein Kind zu adoptieren – auf Basis eines Gesetzes, welches voraussetzt: „Die Mutter ist eine Frau, der Vater ist ein Mann“. Mit dem neuesten Gesetz könne nun alles passieren, so Nagy: „Wir haben Angst alles zu verlieren“. Doch Nagy sagte der Deutschen Welle zwei Tage vor der Pride-Parade in Budapest auch, dass das Gesetz viele Menschen, die dagegen sind, vereinen würde. „Jetzt sind wir endlich sichtbar“, erklärte er, und sprach die Hoffnung aus, dass deswegen am Samstag viele erscheinen würden – eine Hoffnung die sich, wie oben beschrieben, erfüllte.

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Erheblich mehr als die 20.000 erwarteten Menschen beteiligten sich am vergangenen Samstag an der Christopher Street Day Parade in Berlin: Nach Angaben der Polizei vom frühen Samstagabend waren es rund 65.000 Menschen, die an der Demonstration unter dem Motto „Save our Community – Save your Pride“ teilnahmen. Eröffnet wurde sie von Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), der unter Jubel des Publikums vorschlug, Berlin zur „queeren Freiheitszone“ auszurufen.

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Damit spielte er auf die sogenannten „LGBT-Freien-Zonen“ in Polen an, von denen queere Menschen bewusst ausgeschlossen werden sollen. Der Beifall des Berliner Publikums für eine „Freiheitszone“ macht daher deutlich, dass es bei der Parade um den Kampf für LGBTQI*-Rechte nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland geht. So rief auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) anlässlich des CSD zur Solidarität mit verfolgten LGBTQI* auf, die bei ihrem Engagement für Gleichstellung und Respekt „in Kauf nehmen müssen, ausgegrenzt, verfolgt oder inhaftiert zu werden“. Während das heutige Berlin zwar „weltoffen und liberal“ sei, gäbe es auch in der „Regenbogenhauptstadt Europas“ homofeindliches Denken und Handeln: „Dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen“.

Dass jedoch alles gemeinsame Stehen, Marschieren und Demonstrieren momentan noch unter Abstands- und Maskenregeln stattfinden muss, konnte weder von den Organisator*innen der Veranstaltungen, noch der Polizei vollständig durchgesetzt werden. Die meisten Feiernden trugen zwar einen Mund-Nasen-Schutz (viele in Regenbogenfarben) und bemühten sich um Abstand, doch nicht immer wurden die Corona-Regeln eingehalten, obwohl die Organisator*innen immer wieder über Lautsprecher dazu aufriefen. Auch die Polizei machte die Teilnehmenden unter anderem über Twitter auf die geltenden Bestimmungen aufmerksam und drohte mit einem Abbruch der Demonstration, wenn es weiterhin Verstöße gäbe. Teilnehmende äußerten jedoch Verständnis für die Maßnahmen und lobten den friedlichen Ablauf des Umzugs, so kam es während der Parade selbst zu keinen größeren Zwischenfällen.

Doch am späten Abend, nach Ende der Parade, eskalierte die Polizei eine Situation im Regenbogenkiez, wo nach der Demonstration in und vor der Szene-Bar „Hafen“ mit Alkohol, wenig Abstand und zum Teil ohne Maske gefeiert worden sei. So ereignete sich gegen 23:30 Uhr ein Polizeieinsatz, der von Berliner Rechtsanwalt Prof. Nico Härting anhand eines Facebook-Videos einer Festnahme als „Jagdszene“ beschrieben wurde, „an die wir uns nicht gewöhnen dürfen“: „Nach dem CSD setzt die Berliner Polizei eine Maskenpflicht, die es im Freien eigentlich gar nicht mehr gibt, unerbittlich durch“. Ein vor Ort gewesener Zeuge habe den Polizeieinsatz schon „rein optisch als sehr beängstigend“ erlebt: „Das ist natürlich krass, ausgerechnet beim CSD vor einer Schwulenbar“.

„Ausgerechnet beim CSD“ in der „Regenbogenhauptstadt Europas“ ereigneten sich auch mehrere queer-feindliche Angriffe in verschiedenen Berliner Stadtteilen. So meldeten in Schöneberg drei vorherige CSD-Teilnehmende angegriffen und homofeindlich beleidigt worden zu sein, wobei alle leicht verletzt wurden. Am Sonntagnachmittag meldete die Polizei der Hauptstadt, dass im Bezirk Mitte ein 21-Jähriger durch einen Unbekannten von hinten getreten und von einem weiteren Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde, nachdem die beiden Unbekannten eine Regenbogenfahne aus dem Rucksack des jungen Mannes gerissen hatten.

So wird deutlich, dass es, trotz vereinzelter Missachtungen der Abstands- und Maskenregeln, die im Freien eintraten, ein großes Glück ist, dass sich auch dieses Jahr so viele Menschen unter dem Motto „Save our Community – Save your Pride“ in Berlin versammelten. Denn wie auf der ganzen Welt liegt noch einiges vor der als besonders queer-freundlich geltenden Stadt, bis sie sich in jeder Hinsicht – über Szene Clubs und Bars hinaus – als „Regenbogenhauptstadt“ bezeichnen darf.

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Zurzeit lädt in Hamburg ein Plakat der GRÜNEN Hamburg-Nord mit dem Titel „Nach der Ehe für alle: Brauchen wir den CSD noch?“ zu einem Online-Diskussionsabend ein. Wie die Partei selbst beschreibt, ist die „zugespitzte Frage“ eine, „die wahrscheinlich jeder Mensch mit LGBTIQ*-Hintergrund schon gehört hat“. In diesem Artikel geht es darum, warum wir auch nach der Ehe für alle noch ganz klar Pride beziehungsweise einen CSD in Deutschland brauchen.

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In einer aktuellen Studie, die Europäische Länder nach ihrer LSBTIQ*-Freundlichkeit einstuft, ist Deutschland auf Platz 16 von 49 gelandet – und damit nicht einmal unter dem besten Viertel vertreten. Eine höhere Einstufung wurde dabei vor Allem wegen Fällen von Diskriminierung und Hass-Rede verhindert.

Wie eine trans Frau in einem Video der Deutschen Welle schildert, gäbe es noch viele Gebiete in Deutschland (vor Allem im ländlichen Raum) wo es „unglaublich schwer“ sei offen queer zu leben ohne Diskriminierung zu erfahren. In diesen Gegenden bestünden noch „sehr, sehr starke Normen, gerade in Hinblick auf Geschlecht“. Ein schwuler Mann erklärt in demselben Video: „So lange ein 14-jähriger Junge auf dem Land noch Angst haben muss sich zu outen, brauchen wir Pride“.

Doch nicht nur auf dem Land, sondern auch in (Groß-)Städten, welche oft als offener gelten, besteht noch Luft nach oben was die Akzeptanz, Rechte und Repräsentation queerer Menschen angeht. So erzählt ein Demonstrant in einem Queer.de-Vlog über die Marzahn-Pride 2021: „In Marzahn zu leben als Homosexueller ist manchmal echt 'ne Tortur, da der Großteil der Bevölkerung in Marzahn-Hellersdorf leider sehr homophob und rechts angehaucht ist“ – er meide den Stadtteil deswegen. Auch in anderen Berliner Stadtteilen (unter anderem Kreuzberg) ereigneten sich erst letzte Woche, wie echte-vielfalt.de berichtete, homofeindliche Angriffe auf einen Mann und auf ein lesbisches Paar.

Die Frage danach, ob es in Deutschland noch Pride brauche, lässt sich folglich unschwer bejahen. Auf der einen Seite, weil es, wie die obigen Schilderungen und Ereignisse zeigen, noch eine deutliche Verbesserung im Bereich der gesellschaftlichen Akzeptanz und Wertschätzung queerer Menschen braucht. Darüber hinaus ist die Ehe für Alle nur eine Errungenschaft unter einer Reihe von Rechten, die es noch zu reformieren gilt: So gibt es in Deutschland noch immer ein Blutspende-Verbot für schwule Männer, und das veraltete sogenannte „Transsexuellen-Gesetz“ wurde auch in dieser Legislatur-Periode nicht wie versprochen reformiert. Es zwingt trans Personen für die rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität immer noch Gutachten vorzuweisen, die bestätigen, dass sie wirklich trans* sind. Es lassen sich also viele politische Gründe finden, für die es sich absolut lohnt, an Pride noch auf die Straße zu gehen und für eine queer-freundlichere Welt zu demonstrieren. Wichtig ist jedoch auch, dass queere Menschen durch Pride auch weiterhin einen Raum haben, indem ihre Existenz explizit anerkannt und gefeiert wird. Solange das für sie nicht wie für heteronormative Mehrheitsgesellschaft zum Alltag gehört, braucht es, selbst nach allen möglichen politischen und rechtlichen Errungenschaften, Pride in Deutschland – und auf der ganzen Welt.

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Am 26. September diesen Jahres wird ein neuer Bundestag gewählt. Bei der zum Teil noch immer mangelnden Sichtbarkeit queerer Menschen in Deutschland stellt sich die Frage: Welche politischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigen queere Menschen, und welche Themen sind für sie wahlentscheidend?

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In der am Donnerstag gestarteten LGBTIQ*-Wahlstudie zur Bundestagswahl befragen Wissenschaftler*innen der Justus-Liebig-Universität Gießen in Kooperation mit dem LSVD die queere Community. Davon erhoffen sie sich „neue Impulse für politische Debatten und auch für die Wahlforschung“.

Wie Queer.de berichtet, ist die Online-Umfrage vom 15. Juli für vier Wochen (bis zum 12. August) online. Ende August 2021 sollen die Ergebnisse bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Die parteiunabhängige Studie „wird ohne finanzielle Unterstützung von Dritten realisiert“, heißt es in einer Presseerklärung. Die Umfrage ist anonym, und es werden keine personenbezogenen Daten erhoben oder gespeichert. Ähnliche Umfragen wurden vom selben Forschungsteam bereits seit 2015 zu verschiedenen Wahlen in Deutschland und Österreich durchgeführt.

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Um LSBTIQ*-Rechte in der aktuellen Wertedebatte mit den zwei nationalistischen Regierungen in Zentraleuropa zu verteidigen, hat die EU-Exekutive ein rechtliches Verfahren gegen Ungarn und Polen eingeleitet. Die Verkündigung, dass die ungarische und polnische Regierung vor dem höchsten EU-Gericht landen könnten, lässt sich dabei in einen anhaltenden Kampf für Rechtstaatlichkeit und Freiheit von Diskriminierung im Herzen Europas einordnen.

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Das Verfahren gegen Ungarn ist in diesem Kontext durch ein neues Gesetz, welches LSBTIQ*-Inhalte in Literatur und Fernsehen für Minderjährige verbietet, ausgelöst worden, eine Maßnahme die von EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen als „beschämend“ bezeichnet wurde: „Dieses Gesetz benutzt den Schutz von Kindern, dem wir alle gewidmet sind, als Ausrede um Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schwerstens zu diskriminieren“. Gegen Polen ergriff die Kommission rechtliche Schritte. Lokale Autoritäten seien daran gescheitert, auf die Anfragen der EU zu ihren Resolutionen für „LGBT-Ideologie-freie Zonen“, welche in mehr als 100 polnischen Dörfern und Städten verabschiedet wurden, zu reagieren.

Die Kommission war unter Druck geraten zu handeln, nachdem das Europäische Parlament das ungarische Gesetz als rechtswidrig verurteilt hatte. Von EU-Beamt*innen wird vermutet, dass die polnischen „LGBT-Ideologie-freie Zonen“ EU-Gesetze über Nicht-Diskriminierung brechen. Die beiden Ländern haben nun zwei Monate Zeit, um der Kommission zu antworten. Dies ist das erste Stadium in einem EU-Sanktions-Prozess, welcher vor dem Europäischen Gerichtshof und mit einer Strafe von täglichem Bußgeld enden könnte.

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Am vergangenen Montag musste der erste Pride-Umzug in der georgischen Hauptstadt Tbilisi wegen homofeindlicher Angriffe von den Organisator*innen abgesagt werden. Samstagnacht ist in der spanischen Stadt A Coruña der 24-Jährige schwule Samuel Luiz von mehreren Menschen tödlich attackiert worden. In derselben Nacht wurde ein lesbisches Paar in Kreuzberg von einem Mann angespuckt, und ein 26-Jähriger meldete in Biesdorf von fünf ihm unbekannten Personen zu Boden gestoßen und getreten worden zu sein, während sie ihn homophob beleidigten. Wird über diese Ungerechtigkeiten genug berichtet?

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Als Freund*innen des an seinen Verletzungen verstorbenen Samuel Luiz Alarm schlugen, dass Luiz Tod durch Homofeindlichkeit ausgelöst worden war, entfachte dies Proteste in Madrid und Barcelona, in denen die Demonstrierenden Gerechtigkeit für Luiz forderten und dabei Schilder hielten wie: „Wie sie dich nennen, während sie dich umbringen, hat Bedeutung“. Dabei bezogen sie sich darauf, dass Luiz während des Angriffs auf ihn homofeindlich beleidigt worden war. Denn obwohl die spanische Polizei bereits sechs Tatverdächtige (darunter zwei Minderjährige) verhaftet hat, hat sie den Angriff noch nicht als homofeindlich benannt. Die Berliner Polizei hingegen macht mögliche Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezielt in ihren Berichten publik und meldet diese daher vergleichsweise häufig der Öffentlichkeit. In Georgien wiederum konnten Organisator*innen des Pride-Umzuges nicht hinreichend auf Schutz durch die Polizei vertrauen, um eine Veranstaltung, die das Existenzrecht von LGBTQ+ eigentlich explizit feiert, durchführen zu können.

So unterschiedlich der Umgang damit, gemein haben solche Angriffe jedoch, neben ihrer Unmenschlichkeit, dass oft nicht hinreichend über sie berichtet wird. Zwar hat der Tod von Samuel Luiz sogar über Spanien hinaus zurecht eine große Medienwelle ausgelöst, so könne jedoch der zynische Eindruck entstehen, es „müsse“ zu einem Tod in einem EU-Mitgliedsstaat kommen, bis über homofeindliche Angriffe so berichtet wird, wie sie es verdient hätten. Denn so schrecklich der Tod von Samuel Luiz ist, so reiht seine Ursache sich in eine Vielzahl homofeindlicher Hassverbrechen ein, über die je nach Härtegrad und Ereignisort mal mehr und mal weniger gesprochen wird. Entscheidend wäre jedoch ein breiterer und stetigerer Blick der Politik, Presse, und Gesellschaft darauf, dass LGBTQ+ regelmäßig verschiedenen Graden homofeindlicher Diskriminierung und Angriffe ausgesetzt sind, die, wie sich in Spanien zeigte, tödlich enden können. Denn würde man den Blick auf jede Form dieser Angriffe, ihrer Ursachen und Konsequenzen, und vor Allem auf mögliche Präventionsmaßnahmen – wie queere Bildungsarbeit – richten, entstünde womöglich das Potential für eine Gesellschaft, in der queere Menschen nicht nur über ihre tödliche Diskriminierung hinweg repräsentiert wären, sondern diese Diskriminierung im besten Fall langfristig auch weniger zu befürchten hätten.

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Laut dem Bundesverband Queere Bildung e.V. setzt sich queere Bildungsarbeit „für eine Gesellschaft ein, in der lesbische, bisexuelle, asexuelle, schwule, trans*, inter*, heterosexuelle und queere Lebensweisen gleichberechtigt gelebt werden können und uneingeschränkte Akzeptanz finden“. Doch die prekäre Lage dieser lokalen Antidiskriminierungsarbeit, die schon zuvor unter Finanzierungslücken gelitten hat, ist durch die Pandemie noch weiter verschärft worden. Dabei sei der Bedarf für queere Bildungsarbeit laut Verband „nicht konjunkturabhängig“.

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Daher fordert der Verband eine solidere, vorübergehende 100-Prozentige Finanzierung ihrer Arbeit, unabhängig von gestellten Eigenmitteln. Denn eine der Haupteinnahmequellen der queeren Bildungsträger sind Spenden und Honorare bei durchgeführten Workshops. Aufgrund der Mehrkosten, die mit der Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln aufkommen, sind bei solchen Veranstaltungen jedoch auch diese Einnahmen weggefallen. Problematisch ist dies vor allem, weil Förderungen des Verbandes durch den Bund an Eigenmittel gebunden sind. Dadurch befürchten Engagierte, dass öffentliche Fördergelder durch die entgangenen Einnahmen verloren gehen könnten. Nicht nur die direkte Förderung des Verbandes durch den Bund, die zum Teil durch Sondermittel für beispielsweise laufende Mietzahlungen gestellt wurde, sondern auch mögliche Haushaltseinsparungen der Kommunen im Bereich queerer Bildungsarbeit bereiten jedoch Sorge.

Über diese Sorgen, den Herausforderungen, mit denen queere Bildungsarbeit in Deutschland kämpft, und die Einschnitte der Coronapandemie, sprach Rebecca Knecht, Vorstandsmitglied des Queere Bildung e.V., in einem Interview mit queer.de Darin schilderte sie, dass die Corona-Pandemie ein Brennglas auf das bereits existierende Problem der Finanzierung queerer Bildungsarbeit gerichtet habe. Es gäbe zwar Ehrenamtliche, die für die Arbeit brennen würden und gerne bereit seien, Energie, Zeit und Ressourcen zu investieren, auf der anderen Seite würden aber häufig die Strukturen und vor allem die Fördermittel fehlen. Die dabei entstehenden Belastungen hätten sich nun in der Zeit der Pandemie noch einmal verstärkt. Deswegen fordert der Verband, dass Förderungen weniger – wie im Normalfall – an einzelne Projekte gebunden sind, sondern die Finanzierungen häufiger strukturell und langfristig sein sollten. Es sei laut Knecht natürlich gut, dass es das überhaupt geben könne, aber die Logik dahinter sei: „Es wird ein Projekt abgearbeitet, und dann kann man ein Häkchen dahinter setzen. Aber so funktioniert Bildungsarbeit ja in der Regel nicht. Das sind einfach Bedarfe, die auf Dauer da sind.“

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In einer Resolution, über die das Europäische Parlament am vergangenen Donnerstag in Straßburg abgestimmt hat, haben die Mitglieder das ungarische Gesetz, welches LSBTIQ*-Inhalte in Bildungsmaterialien und zu üblichen Sendezeiten für Minderjährige verbietet, „im stärkst-möglichen Ausdruck“ als „einen klaren Bruch mit den Werten, Prinzipien, und Gesetzen der EU“ verurteilt. Darin drängten sie die EU-Kommission, möglichst schnell ein gesetzliches Verfahren gegen Viktor Orbán Fidesz-Regierung einzuleiten. Doch was bedeutet dies für Ungarn?

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Während LGBTIQ+-Aktivist*innen fürchten, dass das ungarische Gesetz zu einem Anstieg in körperlichen und verbalen Angriffen auf queere Menschen führen könnte, und Unterstützung durch die EU fordern, hält Orbán, dem 2022 Neuwahlen bevorstehen, an seinem Argument des Kindesschutzes fest. In einem das Gesetz verteidigenden Brief an die EU warf er EU-Führungskräften vor „koloniale Instinkte lang-verlorener Zeiten heraufzubeschwören“ und „respektlose Machtdeklarationen zu machen“. Weiterhin schrieb er, dass Zentral-Europäer*innen wüssten, wie es ist, „wenn der Staat oder das diktatorische System, und das Machtmonopol, das es betreibt, statt der Eltern die Kinder großziehen wöllten“, und „wir haben das den Kommunisten nicht erlaubt, und so werden wir es diesen selbsternannten Aposteln der liberalen Demokratie auch nicht erlauben, statt der Eltern die Kinder zu bilden“.

Das Gesetz, das er hiermit verteidigte, ist beim letzten EU-Gipfel laut Berichten emotional debattiert worden und wurde von der Kommissions-Präsidentin, Ursula Von der Leyen, als „Schande“ bezeichnet. Sie kritisierte, dass es Homosexualität und Gender-Anpassung mit Pornographie gleichsetze. „Dieses Gesetz benutzt den Schutz von Kindern, dem wir alle gewidmet sind, als Ausrede um Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schwerstens zu diskriminieren“. Sie versprach daher die exekutive Macht der EU zu nutzen, um die Rechte der Bürger*innen zu beschützen, und sendete einen formalen Brief an Orbáns Regierung.

Doch dies allein wird wohl nicht ausreichen. Dennoch, obwohl die Resolution, über die mit 459 zu 147 (58 Enthaltungen) abgestimmt wurde, rechtlich nicht bindend ist, erhöht sie den Druck auf Von der Leyen Ungarn vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Die Mitglieder des Parlaments halten das ungarische Gesetz sowohl für eine Verletzung des Rechtes auf Nicht-Diskriminierung und Ausdrucksfreiheit, als auch der „Direktive für die audiovisuellen Mediendienste der EU“ (pan-Europäische Regeln für TV- und Streaming-Dienste).

Sie zweifeln außerdem an, dass ungarische Autoritäten EU-Gelder auf eine nicht-diskriminierende Art einsetzen würde, während auch von außerhalb des Parlamentes und außerhalb von Ungarn der Ruf danach lauter wird, den Brüsseler Geldhahn für Budapest abzudrehen. Nun wird erwartet, dass die Kommission die Bestätigung des 7,2 Billionen Euro Wiederaufbaufonds für Ungarn, über den heute abgestimmt werden soll, verschieben wird, auch aufgrund zahlreicher Korruptionsvorwürfe gegenüber Ungarn. Da die eingehende Beurteilung dieses Vorhabens jedoch gerade noch stattfinde, so ein Sprecher der Kommission, sei aktuell noch nichts sicher. Befürchtet werden könnte jedoch, dass die Kommission den Forderungen der Öffentlichkeit – besonders der Betroffenen in Ungarn – nicht gerecht werden wird.

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