Echte Vielfalt

Aufklärung und Bildung

Mit seiner Antrittsrede am 05. Dezember 2023 drohte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ein weiteres Mal, „[…] das Gendern in Schule und Verwaltung [zu] untersagen“. Ein altes Lied, dessen Missklänge allerdings die immer noch aktuellen Problemlinien des Diskurses zum Vorschein bringen.

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Aufschluss bieten dabei die Interviews des Münchner Merkur im Nachklang der Antrittsrede mit Verantwortlichen aus Schule und Politik. So äußert sich beispielsweise Andrea Bliese, Schulleiterin am Camerloher-Gymnasium Freising gegenüber der Zeitung, dass sie zwar grundsätzlich dafür sei, dass jede Lehrkraft in Eigenverantwortung entscheide, ob sie gendern wolle. Als Germanistin sei sie allerdings noch unschlüssig, ob ein grundsätzliches Gendern gut wäre. Sollte allerdings ein Verbot kommen, müsste sich die Schule als Teil Behörde daran halten.

Allerdings ist Sprache ebenso fluide wie wirkmächtig in ihren Be- und Zuschreibungen. Die deutsche Rechtschreibung beweist, dass Sprache bereits zuvor und auch in Zukunft aktiv gestaltet werden kann und wird. Und natürlich haben sich Schulen schon jetzt an die deutsche Rechtschreibung zu halten. Echte Vielfalt hatte bereits im November letzten Jahres dazu berichtet, als es um ein Genderverbot beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ging. Laut Verfassungsgericht sind staatliche Sprach- und Schreibverbote (abgesehen von strafbaren Beleidigungen) in der privaten Kommunikation ausgeschlossen. Behörden und staatliche Einrichtungen - und damit auch Schulen - haben sich allerdings an die aktuelle Rechtschreibung zu halten.

Es Lehrer*innen selbst zu überlassen, ob sie im Unterricht eine gendergerechte Sprache verwenden, selbst wenn Bayern ein Verbot des Genderns verabschieden würde, ist damit ebenso eine Entscheidung wie die Beibehaltung der bisherigen Praktik (die rechtliche Debatte noch nicht mit einbezogen).

Ein weiteres Argument, das so alt ist wie die Debatte selbst, führt Freisings Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher in den Diskurs: „Viele Jugendliche haben bereits jetzt Sprachprobleme, da Deutsch keine so einfache Grammatik hat. Wenn sich die Schülerinnen und Schüler dann zusätzlich mit Gendern auseinandersetzen müssten, werde es noch komplizierter“, so Eschenbacher gegenüber dem Münchener Merkur und impliziert damit, dass die schulischen Leistungen ohne Gendern besser wären. Er konterkariert seine Behauptung allerdings selbst, wenn er feststellt: „In den derzeitigen Krisen wäre es mir lieber, ich bekomme pädagogisches Personal, als dass ich mit dem vorhandenen diskutiere, ob sie gendern oder nicht.“

Egal wie der Diskurs geführt wird, festzuhalten ist, dass die Umsetzung gendergerechter Sprache Zeit braucht, denn wie jedes Erlernen von Sprache bleibt es immer auch eine Frage der Gewöhnung und Wiederholung.

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Anlässlich der einjährigen Verabschiedung des Aktionsplans „Queer leben“ der Ampelregierung richten sich 36 queere Organisationen mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und alle Kabinettsmitglieder. Darin fordern sie mehr Einsatz für die LGBTIQ* Gemeinschaft in Deutschland.

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Vor etwa zwei Jahren versprach die Ampelregierung mit ihrem Koalitionsvertrag einen „queerpolitischen Aufbruch“ (queer.de berichtete). Nun ziehen queere Organisationen Bilanz zu der Umsetzung des queerpolitischen Vorhabens und befürchten sein Scheitern. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sowie 35 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren den unzureichenden Einsatz der Regierung in den folgenden Bereichen und stellen mit ihrem offenen Brief Forderungen an die Bundesregierung:

Queerfeindlichkeit

Die Verfasser*innen äußern ihre Besorgnis über die negative Entwicklung hinsichtlich der Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, was sich sowohl in den sozialen Medien, in queerfeindlichen Gewaltdelikten sowie in den Wahlerfolgen der AfD mit ihren queerfeindlichen Parolen abzeichne.

Selbstbestimmungesetz

Das geplante Selbstbestimmungesetz müsse vollständig diskriminierungsfrei sein, im aktuellen Gesetzesentwurf sehen die queeren Organisationen noch einige Mängel. Der LSVD fordert ein Selbstbestimmungsgesetz, „das trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in ihren Grundrechten respektiert“. Konkrete Probleme und Änderungsvorschläge zum Entwurf der Bundesregierung hat der LSVD gemeinsam mit Intergeschlechtliche Menschen e.V. (IMeV) in einer Pressemitteilung veröffentlicht.

Reform des Familien- und Abstammungsrechts

Es wird ein konkreter Zeitplan für die Umsetzung der „längst überfälligen“ Reform des Familien- und Abstammungsrechts gefordert, derzeit gebe es hier noch keine Bemühungen seitens der Ampelregierung. Dies könne noch langjährigen negativen Einfluss auf die Anerkennung von Regenbogenfamilien haben.

Lücken im Gesetz zu Konversionsbehandlungen und im OP-Verbot schließen

Die Regierung habe versprochen, die Lücken im Gesetz zu Konversionsbehandlungen zu schließen, welches bis heute Strafausnahmen beinhalte. Auch Erwachsene müssten vor Konversionsbehandlungen geschützt werden, fordert der LSVD. Zudem müssten die Lücken im Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung geschlossen werden und die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die gesetzlichen Krankenkassen gestärkt werden – beides Versprechungen der Regierungen, die bisher nicht umgesetzt wurden.

Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um sexuelle und geschlechtliche Identität

Queere Personen stoßen immer noch auf Hindernisse bei der Durchsetzung ihrer Rechte gemäß dem AGG. Hier habe die Regierung noch keinen Gesetzesentwurf zur versprochenen Reform geliefert. Darüber hinaus fordern die queeren Verbände eine Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um sexuelle und geschlechtliche Identität, sodass die Rechte von queeren Personen im Grundgesetz geschützt werden.

 

Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören neben dem LSVD AllOut Deutschland, Deutsche Aidshilfe, BiNe – Bisexuelles Netzwerk e.V., Aktionsbündnis gegen Homophobie e.V., Lambda e.V. Jugendnetzwerk, LesbenRing e.V., QueerGrün – Bündnis 90/Die Grünen, SPD Queer, OutInChurch e.V. – Für eine Kirche ohne Angst, nonbinary.berlin und viele weitere. Zu den Forderungen, die im offenen Brief formuliert sind, haben der LSVD und AllOut gemeinsam die Petition „Schluss mit der Sabotage von Queerpolitik in Deutschland“ gestartet.

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Mit dem Verbot gegen die internationale LGBTIQ*-Bewegung durch das Oberste Gericht Russlands erreicht die langjährige Entwicklung repressiver Gesetzgebung des Landes einen neuen traurigen Höhepunkt. Das Gericht gab dabei einem Antrag des Justizministeriums statt, wodurch die internationale LGBTIQ*- Bewegung als „extremistisch“ eingestuft wird.

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Begonnen hatte diese Entwicklung bereits 2013 mit der Unterzeichnung eines Gesetzes zum Verbot von „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" unter Minderjährigen. Im Juni 2022 fand dann eine Verschärfung statt, als das Gesetz für alle Altersstufen ausgeweitet wurde  und die Verbreitung jeglicher Inhalte verbot, die nach Ansicht der Behörden "nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen propagierten“. Echte Vielfalt berichtete über beide Entwicklung bereits in früheren Artikeln (hier und hier). Wie die Deutsche Welle (DW) zusammenfassend feststellt, mussten in der Folge „[…] viele Verlage, Buchhandlungen, Bibliotheken und Online-Kinos […] unter Androhung von Geldstrafen jegliche Erwähnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen […] entfernen“.

Aber auch große Konzerne wie TikTok und Facebook kamen nicht um Geldstrafen herum, als sie sich weigerten Inhalte zu löschen, die eine „Verzerrung traditioneller Werte“ darstellten. Allerdings muss an dieser Stelle der qualitative Unterschied zwischen einer Geldstrafe gegen TikTok von drei Millionen Rubel (etwa 51.000 Euro) und einer ähnlich hohen Geldstrafe gegen eine Buchhandlung oder Bibliothek etc. hingewiesen werden. Während es für erstere eine "symbolische Mahnung“ bedeuten mag, kann es für letztere bis zur existenziellen Bedrohung führen.

Wie die Tageschau bemerkt, sind die konkreten Auswirkungen des neuen Verbots bis jetzt allerdings noch nicht vollends abzuschätzen: „Das Verfahren, das hinter verschlossenen Türen stattfand, richtete sich nicht gegen eine bestimmte Organisation, sondern gegen einen Teil der russischen Gesellschaft.“ Wie die Deutsche Welle schreibt, wird am 10. Januar 2024 der Teil des Verbots, der Bezug auf "strukturelle Organisationen" nimmt, in Kraft treten. Maxim Olenitschew, Anwalt des Menschenrechtsprojekts "Perwyj otdel", befürchtet dazu im Interview mit der DW, dass damit alle Organisationen in Russland gemeint sein, die eine Verbindung zum Thema LGBTIQ* haben. Das Beispiel TikTok und Co. zeigt dahingehend, dass es gerade kleine Vereine und Organisationen sind, die sich in ihrer Gemeinde engagieren, auf die das Urteil besonders einschneidende Auswirkungen haben wird.

Nichtsdestoweniger wird die innerstaatliche Entwicklung ihre Symbolik auch über die Landesgrenzen hinaus entfalten. Laut Tagesschau inszeniert sich Russland mindestens seit Beginn des Ukrainekrieges „als moralisches Bollwerk gegen die angebliche Dekadenz des Westens und begründet sein Vorgehen insbesondere mit dem Schutz von Kindern.“ Eine Signalwirkung, die von den internationalen rechtspopulistischen Akteuren genaustens beobachtet wird. Die Interdependenzen zwischen nationaler Entwicklung als Signal an internationale Akteure haben wir am Beispiel USA - Uganda bereits thematisiert.

Interdependenz bedeutet allerdings auch, dass - egal aus welcher Richtung - Einmischung wirkt. Auch wenn das den Menschen und Vereinen vor Ort kurzfristig vermutlich wenig helfen wird, kann das Engagement von außen und das Schaffen von Zugang zu Informationen und Medien langfristig dennoch Hoffnung spenden.

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Dass Google, YouTube und Co. Algorithmen unterliegen, deren Suchkriterien nicht für alle sofort ersichtlich sind, ist keine Neuigkeit - auch, dass dabei die Gefahr von Selektion und Diskriminierung besteht. Aber nicht nur können die Algorithmen selbst einen Selektionsbias erzeugen, sondern über die ökonomische Notwendigkeit der Reichweite und den damit verbundenen Druck kann es zu einer vorweggenommenen Selektion durch die Content Creator kommen.

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Bereits im Juli 2021 berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland (rnd) über diese Art der Selbstzensur des YouTubers Rezo. Herausgenommen hatte dieser Worte wie: „Homosexualität, homosexuell, schwul und Homophobie.“ Wie Rezo in dem Bericht beschreibt, liegt das Problem darin, Themen anzusprechen, ohne sie beim Namen zu nennen, um nicht herabgestuft zu werden. Ob dies die richtige Vorgehensweise ist oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt. Laut rnd gibt es allerdings zumindest Indizien dafür, dass der YouTube-Algorithmus Videos mit den eben genannten Buzzwords herunterstufe.

Doch auch der umgekehrte Sachverhalt lässt sich bei den Algorithmen finden. Vergisst man beispielsweise auf YouTube bei der Suche nach „LGBTIQ“ das „I“ einzugeben, durch einen Tippfehler oder aus Unkenntnis, so werden vom Algorithmus unter dem Schlagwort „LGBTQ“ mit fünf von sieben Ergebnissen eindeutig rechtspopulistische und menschenverachtende Anti-LGBTIQ*-Inhalte gezeigt. Hierbei ist anzumerken, dass der PC, mit dem diese Recherche vollzogen wurde, in keinen spezifischen YouTube-Account eingeloggt war. Bei einer Wiederholung auf einem anderen Gerät und einem anderen Anschluss zeigte sich ein ähnliches Bild. Besonders für Kinder und Jugendliche, die nicht in ihrem direkten Umfeld Bezugspersonen haben, die sich mit LGBTIQ* auseinandersetzen oder selbst dazugehören, entsteht hier eine ideologische Gefahr.

Daran zeigt sich abermals die Bedeutung medialer Bildung, die über eine bloße Anwendung von Medien hinausgeht und stattdessen auch Mechanismen und Inhalte reflektiert. Gleichzeitig zeigt es die Verantwortung der großen LGBTIQ*-Verbände und Vereine sowie ihrer Träger, sich stellvertretend für die gesamte Comunity auf eine juristische Auseinandersetzung auch mit großen Konzernen wie YouTube einzustellen, um für ein Regelwerk in der digitalen Welt zu kämpfen, das die Prinzipien von Würde und Demokratie hochhält. Etwas, dass Einzelne nicht leisten können. Ein zugegebenermaßen ambitioniertes und langwieriges Unterfangen, bei dem der teilweise geäußerte Vorwurf des „Canceln“ mutmaßlich ein ständiger Begleiter bleiben wird. Aber ohne diese Auseinandersetzung wird in einer Welt der digitalen Information der Einsatz für ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis kaum gelingen.

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Vor einiger Zeit meldete der LSVD Schleswig-Holstein, dass es zu einem queerfeindlichen Vorfall an der freien Waldorfschule in Itzehoe gekommen sei. Im Rahmen der „Michaeli“-Feier wurde am 29. September 2023 ein von den Kindern gebastelter Drache verbrannt, der als queeres Monster dargestellt wurde. Daraufhin stellte der Lesben- und Schwulenverband Strafanzeige gegen die Schule.

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Die Waldorf-Schule beschrieb in einem Beitrag zum Fest auf ihrer Webseite, das Verbrennen des Drachens repräsentiere „[d]e[n] Sieg des Guten über das Böse, der Freiheit über die Gefangenschaft“ (der Beitrag wurde später von der Webseite genommen, ist jedoch noch auf archive.org verfügbar). Dabei war das „Böse“ in pink und queer dargestellt worden. Nach Angaben von queer.de zählten zu den queeren Elementen des Pappmaché-Drachens ein Barbie-Hut und ein rosafarbenes Trikot des queerfreundlichen Fußballclubs „Inter-Miami“. Diese war zusätzlich markiert mit dem Aufschrift „Gaydidas“. So lässt die Gestaltung des Drachens wenig Zweifel an der Intention des Verbrennungsrituals zu. Oliver Rautenberg, der sich auf seinem Blog kritisch mit Rudolf Steiners Anthroposophie auseinandersetzt, stellt klar: „Der Teufel, den die Waldorfschule hier mit Feuer austreibt, ist queer“. Vorstandsmitglied des LSVD Schleswig-Holstein Florian Wieczorek äußerte sich ebenfalls zum Vorfall: “Wir werden als Böses assoziiert und das ist das Problem! Wir sind alles Menschen. Und deswegen kann es nicht sein, nur weil ich 'nen Mann liebe, dass ich in irgendeiner Weise Böse oder anders bin." Am 13. Oktober veröffentlichte die Waldorfschule eine Entschuldigung auf ihrer Webseite, doch scheint sie keine direkte Verantwortung für den Vorfall zu übernehmen. In der Stellungnahme wird nicht die gesellschaftliche Bedeutung des Verbrennungsrituals reflektiert, sondern die Schule entschuldigt sich lediglich dafür, falls einzelne Personen oder Gruppen sich verletzt gefühlt haben sollten. Doch vor allem in Bildungsinstitutionen kann eine solche queerfeindliche Symbolik dramatische Folgen haben. Die SPD-Abgeordnete im Schleswig-Holsteinischen Landtag Birgit Herdejürgen betont: „Weder „woke“ noch „queer“ dürfen Kindern als Böse vermittelt werden, was auch immer von archaischen Ritualen sonst zu halten ist.“ Daraufhin forderte die Fraktion das Bildungsministerium auf, den Vorwürfen gegen die Waldorfschule Itzehoe nachzugehen. Das Bildungsministerium Schleswig-Holstein äußerte sich dazu, dass es den Vorfall untersuchen werde. Auch die Schule ist verpflichtet, denn Fall aufzuarbeiten. Die Strafanzeige des LSVD Schleswig-Holstein bleibt auch nach der Stellungnahme der Schule bestehen, denn „[i]nakzeptables Verhalen muss Konsequenzen nach sich ziehen“, so Wieczorek.

Im März 2023 konnte man in verschiedenen Presseportalen von Ugandas Debatte um einen neuen Gesetzesentwurf lesen, der eine umfassende Kriminalisierung für Homosexuelle bedeuten würde. Nach einiger Verzögerung und massiven Sanktionsandrohungen u.a. von den USA trat das Gesetz dennoch am 29. Mai in Kraft. Ein Ereignis, das zumindest damals internationale Aufmerksamkeit fand. Mittlerweile ist es in der Berichterstattung allerdings ruhig geworden.

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Noch im August berichteten wir über das Schließen des UN-Büros in Uganda und die Einstellungen der Kreditzahlungen durch die Weltbank. Besonders perfide war allerdings der Befund des „Institute for Journalism and Social Change“, das die Verflechtungen zwischen den im Land wie auch anderswo geführten Anti-LGBTIQ* Werbekampagnen und evangelikalen Finanzgebern aus den USA nachzeichnete, während die amerikanische Regierung Uganda gleichzeitig mit Sanktionen drohte.

Im selben Monat berichtete die BBC über die erste Anklage wegen „schwerer Homosexualität“, die mit dem neuen Gesetz als Kapitalverbrechen gilt. Der Angeklagte, ein 20-jähriger Mann, muss nun bis zur Urteilsverkündung im Gefängnis bleiben. Wann das Urteil zu erwarten ist, bleibt offen. Ebenfalls ergebnisoffen bleibt ein Bericht von Reuters, wonach eine Gruppe von Rechtsaktivist*innen vor dem ugandischen Verfassungsgericht versucht hatte, Klage gegen das Gesetz einzureichen. Weiter heißt es, dass bis zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Menschen angeklagt wurden. Weit mehr Personen sollen allerdings Folter, Vertreibung und Einschüchterung ausgesetzt sein, so das Fazit der Rechtsaktivist*innen im Reuters-Interview.

Der Nachrichtensender Aljazeera bringt das Problem auf den Punkt. Das Gesetz bedeutet nicht bloß rechtliche Verfolgung, sondern ebnet den Weg für eine Zunahme privater Gewalt gegen LGBTIQ* Personen. Es ist ein Signal an die Bevölkerung, aber auch an die internationalen Finanziers von Anti-LGBTIQ*-Propaganda. Dazu gehört auch die Beobachtung, dass Uganda gerade vor dem Hintergrund zweier Kriege aus dem medialen Blick verschwunden ist.

Was hier für Uganda gilt, ist allerdings ein grundsätzliches Problem des medialen Aufmerksamkeitsmanagement. Vielleicht hilft es aber, wenn offizielle Interessenvertreter*innen, Institutionen und/oder Vereine ab und zu ihre vergangenen Stellungnahmen und Berichte zu unabgeschlossenen Themen in Erinnerung rufen, selbst wenn diese nicht der „Tagespolitik“ entsprechen - ganz besonders dann, wenn gerade kein Wahltag von, für oder gegen irgendetwas ansteht.

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Der 20. November ist der „Transgender Day of Remembrance“. Der Tag soll an die Opfer von transfeindlicher Gewalt erinnern und wurde 1999 von der US-amerikanischen trans Aktivistin Gwendolyn Ann Smith in Gedenken an die ermordete trans Frau Rita Hester initiiert. Damit soll ein Blick auf die Gewalt gerichtet werden, die trans Personen bis heute erfahren. Smith betont, dass der Trangender Day of Remembrance nicht „gefeiert“ wird. Vielmehr geht es um ein Trauern um und Gedenken an die Toten, um den Kampf für die Lebenden weiterzuführen.

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Der Gedenktag ist heute ebenso bedeutsam wie zu seinen Anfängen. 2016 schrieb Gwendolyn Ann Smith in der HuffPost: “Jedes Jahr finden wir immer noch eine Liste von Menschen, die gewaltsam ermordet wurden, nur weil sie sie selbst sind.“ Dies trifft auch auf das letzte Jahr zu.

Von Oktober 2022 bis September 2023 wurden vom Trans Murder Monitoring global 321 Morde an trans und nicht binären Personen verzeichnet. Dabei wird die tatsächliche Zahl deutlich höher sein, da sich der Bericht nur auf gemeldete Fälle berufen kann, die zusätzlich im Netz auffindbar oder von Organisationen und Aktivist*innen übermittelt wurden. In 94 Prozent der Fälle handelt sich um ermordete trans Frauen oder transfeminine Personen, 80 Prozent der Opfer waren zusätzlich von Rassismus betroffen. Ein Großteil der Toten besteht aus Schwarzen trans Frauen sowie Sexarbeiter*innen. Bei 45 Prozent der Fälle in Europa handelt es  sich um trans und nicht-binäre Geflüchtete und Migrant*innen. Es wird klar, warum eine intersektionale Perspektive bei der Betrachtung queerfeindlicher Gewalt wichtig ist, das heißt anzuerkennen, dass sich mehrere Diskriminierungsformen überschneiden und zusammenwirken können. Denn Personen, die unter Mehrfachdiskriminierung leiden, sind nach den Daten des Trans Murder Monitoring besonders gefährdet und brauchen deshalb besonderen Schutz und Unterstützung. Es ist auch wichtig anzuerkennen, dass trans Personen, insbesondere Jugendliche, ein erhöhtes Suizidrisiko haben. In den USA ist die Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs bei trans Personen in ihrer Lebensdauer fast neun Mal höher im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt.[1]

Auch in Deutschland bleibt Transfeindlichkeit ein Problem. Queer.de beklagt, dass im aktuellen politischen Diskurs das Recht von trans Personen zu existieren in Frage gestellt wird, besonders von konservativer Seite sowie in manchen feministischen Kreisen. So wie auch international gibt es in der Bundesrepublik eine hohe Dunkelziffer von transfeindlichen Straftaten, da viele nicht gemeldet oder als Hassverbrechen anerkannt werden (Tagesschau).

Menschen auf der ganzen Welt müssen demnach weiterhin aufgrund ihrer Geschlechtsidentität Angst vor Angriffen haben. Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, betont anlässlich des Gedenktags auf X, ehemals Twitter: „Sichtbarkeit kann lebensgefährlich sein. Besonders für transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen, die täglich angegriffen werden.“ Um auf diese Problematik aufmerksam zu machen, finden jährlich am 20. November Trauermärschen und anderen Veranstaltungen statt.

[1] Austin A, Craig SL, D'Souza S, McInroy LB. Suicidality Among Transgender Youth: Elucidating the Role of Interpersonal Risk Factors. J Interpers Violence. 2022 Mar;37(5-6)

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Mit dem EU-Austauschprogramm Erasmus+ werden Auslandsaufenthalte von jungen Menschen zu Lern- und Ausbildungszwecken gefördert. Vor allem bei Studierenden ist ein Auslandssemester im Rahmen von Erasmus+ beliebt, da das Programm finanzielle Unterstützung bietet sowie organisatorische Aspekte erleichtert. Doch Erasmus+ fördert auch kürzere Auslandsaufenthalte und Projekte, worunter einige queere Personen adressieren.

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Mit Erasmus+ sollen nicht nur interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden, die junge Menschen in einer globalisierten Gesellschaft benötigen, sondern es geht auch um die Stärkung ihrer gesellschaftlichen und politischen Partizipation. Das Programm legt außerdem einen stärkeren Fokus auf Chancengleichheit und Inklusion. Organisationen und informelle Gruppen können sich beispielsweise auf Fördermittel im Rahmen der Aktion “DiscoverEU Inclusion Action” bewerben, die auf Inklusion, Chancengleichheit und Empowerment von Jugendlichen und jungen Erwachsenen abzielt. Dabei werden kurzzeitige Auslandsaufenthalte von einzelnen Personen oder Gruppen finanziert.

Wie steht es um die Förderung von Projekten, die sich für queere Personen einsetzen? Nach Angaben des Tagesspiegel wurden in den Jahren 2021 und 2022 fast 150 Projekte mit LGBTIQ*-Fokus mit einer Gesamtsumme von 8,83 Millionen Euro gefördert. Mehr als doppelt so viele Projekte haben sich beworben.

Unter den geförderten Projekten ist „Wikipedia for Peace: Queer“, ein von 2020 bis 2023 angesetztes Austauschprogramm, in dem sich 35 junge Menschen aus sechs EU- und Nicht-EU-Ländern in Österreich getroffen haben, um Artikel zu queeren Themen zu verfassen. Dabei lernen die Teilnehmer*innen nicht nur selbst relevante Inhalte im Bereich LGBTIQ* kennen, sondern tragen auch zur erhöhten Sichtbarkeit dieser Themen im Internet bei. Ein weiteres gefördertes Projekt ist „Queer Rural Identities“, das sich an queere junge Erwachsene insbesondere aus ländlichen Regionen richtet. Hier wurden verschiedene Fragen rund um LGBTIQ* diskutiert. Das Projekt zielt darauf ab, LGBTIQ*-Netzwerke und Aktivismus in ländlichen Gebieten zu fördern und queere Menschen in multikulturellen Umgebungen wie Erasmus+ einzubeziehen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Förderung von queerpolitischen Projekten einen Beitrag zur Sichtbarkeit und Unterstützung von LGBTIQ*-Personen leisten kann. So wäre eine weitere und umfassendere Unterstützung von Projekten für junge queere Menschen im Rahmen des Erasmus+-Programms wünschenswert.

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Die 2017 von der Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş gegründete Ibn-Rushd-Goethe-Moschee im Berliner Stadtteil Moabit ist Deutschlands einzige selbsternannte liberale Moschee. In ihr soll es allen Geschlechtern möglich gemacht werden, gemeinsam beten zu können.

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Bereits im August letzten Jahres wurde auf echte vielfalt über das Engagement der Moschee für die LGBTIQ* Gemeinschaft berichtet. Die Moschee sieht sich als sicheren Ort für alle - und damit auch für Muslim*innen, die sich als LGBTIQ* verstehen -, um jedem Menschen einen Ort der Spiritualität zu bieten.

Am 20. Oktober 2023 berichtet nun der Tagesspiegel mit Verweis auf T-Online, dass die Moschee vorübergehend geschlossen werden musste. Grund hierfür ist ein Verdacht auf islamistische Anschlagspläne. Erste Verdächtige wurden festgenommen. Wie allerdings Seyran Ateş gegenüber T-Online mitteilte, seien die mutmaßlichen Terroristen aus ihrer Sicht nicht allein verantwortlich: „Die oftmals subtile Hetze staatlicher und islamischer Stellen der Türkei, des Irans und Ägyptens fällt bei Extremisten auf fruchtbaren Boden,“ so die Geschäftsführerin.

An dieser Stelle müssen also drei Eben unterscheiden werden: Auf der ersten Ebene sind Politiker*innen mit machtpolitischen Interessen, die zum Erreichen ihrer Ziele auch mediale Mittel verwenden. Auf der zweiten Ebene stehen extremistische Gruppen, die ideologische und hoch emotionalisierte Ziele verfolgen (Terrorgruppen). Die dritte Ebene stellen die Menschen dar, die als Ziel „für“ oder „von“ Propaganda dienen. Das gilt für muslimische Menschen, die nicht in das Bild der ersten beiden Ebenen passen, ebenso wie für LGBTIQ* und andere.

Auch wenn die Anschlagspläne in Berlin nicht in einem direkten Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen zwischen Israel und der Hamas stehen, ist es vor dem Hintergrund der aktuellen medialen Diskussion umso wichtiger, zwischen diesen drei Ebenen zu differenzieren. Ein Vorhaben, das in der Kürze dieses Artikels nur unzureichend gelingen kann. Aus diesem Grund sei beispielsweise auf den Podcast „Die neuen Zwanziger“ von Wolfgang M. Schmitt und Stefan Schulz verwiesen, die in ihrer Oktober-Episode eine Ordnung des medialen Diskurses vornehmen. Dabei gehen die beiden in ihrer Metaanalyse auf wichtige Prinzipien der Diskursanalyse ein und legen eine Basis, die auch über den Inhalt hinaus dazu beitragen kann, die eigene Haltung zu schärfen. Gerade für den Diskurs zur Selbstbestimmung über Körper und Status lassen sich dort einige Denkanstöße finden.

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Das Selbstbestimmungsgesetz und der dahinterliegende Diskurs waren schon des Öfteren Thema an dieser Stelle. Dabei ging es auch um die implizierte Diskriminierung und das zugrundeliegende Misstrauen, das in einigen der Entwurfsformulierungen anzufinden ist.

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Am 20. Oktober wurde der Gesetzesentwurf dem Bundesrat vorgelegt. Wie die Zeit berichtet, ließ dieser das Gesetz mit dem Hinweis zurückgehen, das Diskriminierungsrisiko durch eben jene Formulierungen sei zu hoch. Wie hier bereits in Bezug auf die „Hausrechtsklausel“ thematisiert wurde, besteht dabei die Gefahr einer Problemverschiebung. Sowohl der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) als auch der Verein Frauenhauskoordinierung e.V. verwiesen explizit auf das Schutzbedürfnis von trans* und nichtbinären Personen und betonen, das die Gefahr für Frauen, die oft als gegen Argument verwendet werde, eben nicht von diesen ausgehe. Was hier über die administrative Ebene des Geschlechtseintrags verhandelt wird, ist das Recht, das eigene Geschlecht ohne große Hürden „formal selbst zu definieren“. Gleichwohl sollte ebenso respektiert werden, dass Frauen insbesondere mit sexualisierten Gewalterfahrungen auch eigene Räumlichkeiten nutzen können, was dem Recht auf Schutz von trans Personen keineswegs widerspricht.

Parallel dazu findet über den medizinischen Bereich und seine Behandlungsmöglichkeit bei Geschlechtsinkongruenz eine Verhandlung über das körperliche Selbst statt. Im Unterschied zum administrativen Selbst geht es hierbei allerdings um eine weit invasivere Veränderung, verbunden mit einer schwierigeren Reversibilität (falls notwendig). Auch sind mit Ärzt*innen und ggf. Eltern zusätzliche Verantwortungsinstanzen involviert. Diese stehen vor dem Problem, dass sie, wie bei jedem anderen Eingriff auch, immer die „richtige Entscheidung“ abwägen müssen. In dem Artikel auf Echte Vielfalt zur Norwegens nationaler Untersuchungskommission für das Gesundheits- und Pflegewesen (UKOM) wurde auf die immer noch schwache Datenlage der medizinischen Forschung in Bezug auf trans*und nichtbinäre Personen hingewiesen. Ein Fazit war, dass neben dem Bedarf an gendergerechter Forschung, wie ihn die UKOM fordert, vor allem Pauschalisierungen und eine emotionalisierte Debatte Gefahr darstellen.

Allerdings ist auf der körperlichen Ebene ein weiterer Faktor entscheidend, der bereits relativ unabhängig vom gesellschaftlichen und medizinischen Diskurs faktische Ungleichheit schafft. Wie das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 19. Oktober entschied, sind „[…] körpermodifizierende Operationen bei Trans-Personen* Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode […]. Über deren Anerkennung muss zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss entscheiden, bevor Versicherte die Leistung von ihrer Krankenkasse beanspruchen können.“

Solange diese Entscheidung aussteht, wird die körperliche „Selbstbestimmung“ auch durch den ökonomischen Status von trans* und nichtbinären Personen beeinflusst. Das könnte einige Menschen zu riskanten Handlungen veranlassen und/oder eine Zwei-Klassen-Struktur hervorrufen. Ein Umstand, den es sich lohnt, frühzeitig und aufmerksam zu verfolgen.

Langfristig werden beide Ebenen wohl immer wieder zur Debatte stehen, da Fragen über „Selbst“ und „Sein“ immer auch zur Kontroversen führen. Gleichzeitig liegt gerade bei den Diskursteilnehmenden, die nicht direkt und persönlich involviert sind, eine höhere Verantwortung, die Positionen immer wieder aufs Neue abzuwägen und nicht zu pauschalisieren.

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