Echte Vielfalt

Beratung und Recht

Manchmal gibt es die kritische Bemerkung, dass der Blick auf „das Außen“ vor den eigenen Problemen ablenken kann und manchmal auch soll. Ein Blick in den Bericht über die Situation der LGBTIQ* Gemeinschaft auf dem afrikanischen Kontinent, den Amnesty International im Januar 2024 veröffentlichte, zeigt jedoch, wie eng lokales und internationales Menschenrecht verbunden ist.

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In ihrem Bericht dokumentiert Amnesty International eine verstärkte Nutzung von Gesetzen als Unterdrückungsinstrumente gegen LGBTIQ* in zwölf afrikanischen Ländern. Rechtliche Mittel werden hier zunehmend als Waffen eingesetzt, die von Verboten von LGBTIQ*-Organisationen, Auflösung von Versammlungen bis hin zu alltäglichen Übergriffen reichen. Der Ursprung dieser Kriminalisierung führt dabei zurück bis in die Kolonialzeit, so der Verein weiter. Während allerdings die ehemaligen Kolonialstaaten bzw. ihre Politiker*innen sich eher reaktiv verhalten, wurde auf echte vielfalt bereits am Beispiel Uganda auf die aktive Rolle der evangelikalen Rechten aus den USA und ihre Finanzierung von Anti-LGBTIQ* Werbekampagnen in einigen afrikanischen Staaten verwiesen.

Wie der Tagesspiegel betont, führt vor allem das unter Strafe Stellen der Unterstützung von LGBTIQ* zum Verlust von Arbeit, Wohnraum und medizinischer Versorgung. Eine Situation, die sich nicht bloß auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Neben 31 afrikanischen Staaten finden sich laut Amnesty-Bericht in 61 Staaten weltweit Gesetze, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen kriminalisieren. Gerade vor dem Hintergrund des im Dezember erzielten Asylkompromisses entsteht vor allem für LGBTIQ* eine prekäre Lage. Unter anderem sollen die Kriterien für sogenannte sichere Drittstaaten geändert und deutlich ausgeweitet werden. Wie der Deutschlandfunk schreibt, steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auf der Flucht durch einen solchen Staat gekommen sind. Welche Folgen das haben kann, wird am Beispiel Ghana deutlich: Das Land wird bereits heute vom BAMF als sicher eingestuft, während es nach Angaben des Amnesty-Berichts bereits seit 2021 eines der schärfsten Gesetze gegen LGBTIQ* verhandelt. Im vergangenen Jahr befand sich das Gesetz bereits in der zweiten Lesung vor dem ghanaischen Parlament.

Zwar erhalten Antragsteller*innen laut BAMF in solchen Fällen die Möglichkeit, „Tatsachen oder Beweismittel vorzubringen, die belegen, dass ihnen – abweichend von der Regelvermutung – im Herkunftsland dennoch Verfolgung droht“. Allerdings muss dieser Beweis erst einmal erbracht werden, eine bekanntermaßen nicht zu unterschätzende Hürde. So makaber es auch klingt, könnte für diese Menschen eine Verrechtlichung ihrer Diskriminierung im Herkunftsland oder im Drittstaat, in das sie abgeschoben werden sollen, immerhin ein gewichtiges Argument im Asylprozess liefern.

Zusammenfassend ergeben sich für die Institutionen, Vereine und Akteure, die sich für LGBTIQ* und allgemeine Menschenrechte einsetzen, entsprechend drei Ebenen:

1. Vergangenheit: Anmahnen von Verantwortung für koloniale Spätfolgen

2. Gegenwart: Achten auf die Aktivitäten von Evangelikalen und Co., die vor allem als Geldgeber rechte und menschenfeindliche Propaganda finanzieren. Eine Gefahr, vor der auch Deutschland politisch und gesellschaftlich nicht gefeit ist.

3. Zukunft: Eine fundierte rechtliche Ausbildung für die Hilfsinstitutionen, um Hilfe suchenden Personen im eigenen Land einen bestmöglichen Schutz zu ermöglichen. Dazu zählt auch, die Situation „sicherer“ Herkunftsstaaten regelmäßig zu überprüfen.

Das insbesondere Letzteres wirkt, zeigen internationale Menschenrechtsprinzipien wie die Yogyakarta-Prinzipien. Durch das Interpretieren bestehender Menschenrechtsgesetze und ihre Anwendung, so der Bericht, „[…] auf die Situationen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität […], haben [sie] in der Lobbyarbeit an Boden gewonnen." Engagement und Lobbyarbeit für die Rechte von LGBTIQ* führen also durchaus zu Erfolgen. Ein Umstand, der gerade bei  Diskriminierung und (rechtlicher) Gewalt nicht aus den Augen verloren werden darf.

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Die Ampelregierung machte in ihrem Koalitionsvertrag einige queerpolitische Versprechen, worunter eine Reform des Abstammungsrechts fällt, die gleichgeschlechtliche Elternpaare mitdenken soll. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FPD) will noch im Januar 2024 ein Eckpunktepapier zur geplanten Reform vorlegen.

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Bisher gilt die Person (im Gesetz: Frau), die das Kind gebärt, automatisch als rechtliche Mutter. Als Vater gilt entweder der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist. So kann es nach dem jetzigen Abstammungsrecht nur einen rechtlichen Vater geben. Bei lesbischen Paaren muss das zweite Elternteil das Kind im Rahmen einer Stiefkindadoption adoptieren. Dieser Umweg sei oft zeit- und kostenintensiv und mit Unsicherheit verbunden, so Buschmann.

Im Status quo des Abstammungsrechtes werden gleichgeschlechtliche Paare nicht mitgedacht. Die Ampelregierung versprach in ihrem Koalitionsvertrag, dass bei verheirateten lesbischen Paaren automatisch beide in die Geburtsurkunde ihres Kindes eingetragen werden sollen. LSBTIQ*-Verbände kritisierten im Herbst 2023, dass für die Umsetzung dieser Versprechung noch kein Zeitplan vorliege, was womöglich bedeuten könnte, dass „für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte Familien mit zwei Müttern, zwei Vätern oder mit trans* Elternteilen Familien zweiter Klasse bleiben“. Im Januar 2024 soll nun ein erstes Eckpunktepapier vorliegen, doch wann dies umgesetzt wird, bleibt erstmal unklar.

Nach Angaben des Deutschlandfunks soll die Reform neben der Vereinfachung der Anerkennung rechtlicher Elternschaft bei lesbischen Paaren auch Neuerungen beim Umgangsrecht für getrennte Elternpaare beinhalten. Außerdem sollen sogenannte „Verantwortungsgemeinschaften“ eingeführt werden. Zudem kündigte das Bundesjustizministerium an, dass die Elternschaftsanerkennung außerhalb der Ehe unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein sollte. Dass die Frau, die das Kind gebärt, automatisch als Mutter eingetragen wird, soll sich nicht ändern. Zudem sollen weiterhin nur zwei Personen als rechtliche Elternteile gelten. So scheint die Reform keine Möglichkeit zu beinhalten, zwei Väter in die Geburtsurkunde einzutragen.

Ob auch trans, inter und nicht-binäre Personen bei den Neuerungen mitgedacht werden, ist noch unklar. Trans Männer, die ein Kind gebären, werden wohl weiterhin als „Mutter“ eingetragen. Dass die rechtliche Geschlechtsidentität des Elternteils nicht anerkannt wird, sei diskriminierend, so der Bundesverband Trans*. Bereits im Jahr 2019 forderte die Organisation, dass eine Reform des Abstammungsrechts trans* und inter Personen inkludieren muss: „Gebärende Väter und zeugende Mütter sind eine gesellschaftliche Tatsache. Diese Tatsache muss in eine Reform des Abstammungsrechts einfließen!“

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Seitdem die internationale LGBTIQ*-Bewegung Ende November 2023 vom Obersten Gerichtshof in Russland als „extremistisch“ eingestuft wurde, hat sich die Situation für die queere Community im Land weiter verschlechtert. Das Urteil verbietet jegliche Form von LGBTIQ*-Aktivismus und schränkt damit die Handlungsfähigkeit von queeren Personen stark ein. Ein Monat nach dem Beschluss wird bereits deutlich, welche Auswirkungen das Verbot für die queere Gemeinschaft in Russland hat.

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Wie bereits in einem früheren Artikel auf echte-vielfalt.de betont wurde, ist das Fatale an dem Verbot die generelle Kriminalisierung von LGBTIQ*, da es sich nicht gegen eine bestimmte Organisation oder Gruppierung richtet. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellt fest, dass mit diesem pauschalen Verbot die Rechte auf Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Nichtdiskriminierung verletzt werden.

So drängt das Verbot queere Aktivist*innen, die nochmals verstärkt mit politischer Verfolgung, Repressionen und Haftstrafen rechnen, in die Flucht. Denn die Teilnahme in oder Finanzierung von „extremistischen“ Organisationen kann bis zu zwölf Jahren Haftstrafe bedeuten. Allein das Tragen von Symbolen, die mit diesen Gruppierungen verbunden sind, kann bei wiederholtem Verstoß mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden.

Aber nicht nur Aktivist*innen müssen fatale Konsequenzen fürchten. Bereits nach der Verschärfung des Gesetzes zu „LGBTIQ* Propaganda“ im Jahr 2022 beklagte die junge Russin Yaroslava gegenüber CNN, dass ihre reine Existenz kriminalisiert werde. Als lesbische Mutter mit Kind würden sie und ihre Familie nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen propagieren. Durch das Gesetz würden Menschen und Familien wie sie in die Illegalität gedrängt werden. Mit der pauschalen Einstufung der LGBTIQ*-Bewegung als „extremistisch“ werden nicht-heterosexuelle Lebensweisen nun weitreichend als politische Gefahr konstruiert. So scheinen queere Personen generell zur Zielscheibe von Putins Regierung zu werden.

Das Urteil wirkt demnach in viele Lebensbereiche queerer Personen. Zusätzlich zur bereits durch das Propaganda-Gesetz veranlassten „Reinigung“ von Inhalten und Symbolen, die mit LGBTIQ* in Kunst und Kultur verbunden sind, kam es nur einen Tag nach Bekanntgabe des Verbots zu Razzien in queeren Clubs in Moskau. Unter dem Vorwand einer Anti-Drogen-Kontrolle habe die Polizei die Ausweise der Clubbesucher*innen kontrolliert und fotografiert. Nach Angaben von queer.de könnte dies als Einschüchterungsmaßnahme interpretiert werden. Das Eindringen der staatlichen Gewalt in die Räume von LGBTIQ* – womöglich waren auch private Partys von den Razzien betroffen – löst große Sorgen innerhalb der queeren Gemeinschaft aus.

Mit der rechtlichen Verschärfung wird auch eine Zunahme an queerfeindlicher Gewalt befürchtet. Bereits nach dem "Propaganda" -Gesetz, das ursprünglich im Jahr 2013 verabschiedet wurde, kam es zu einem Anstieg an Gewalttaten gegenüber LGBTIQ*. Ein ähnlicher Trend wird auch mit der neueren Entscheidung des Obersten Gerichtshofes befürchtet. Das gesamte Ausmaß des Urteils wird sich wohl noch abzeichnen.

Die Organisation Human Rights Watch fordert nun die Internationale Gemeinschaft auf, russische LGBTIQ*-Aktivist*innen zu unterstützen. Insbesondere EU-Mitgliedsstaaten müssten aufgrund der geographischen Nähe Visa bereitstellen, wenn diese aufgrund der Lage in Russland gezwungen sind zu fliehen.

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Das EU-Parlament will nun endlich die rechtliche Sicherheit von Kindern und ihren Eltern verbessern. Bei der Abstimmung am 14. Dezember 2023 sprachen sich die Abgeordneten mit 366 zu 145 Stimmen und23 Enthaltungen für einen Gesetzesentwurf aus, der sicherstellen soll, dass die Elternschaft, die in einem EU-Land gilt, automatisch in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird.

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Dass dieses Problem existiert, ist weder neu noch unbekannt. Bereits 2020 thematisierte Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union die Notwendigkeit einer übergreifenden Anerkennung. Zwei Jahre später, am 7. Dezember 2022, nahm die Kommission einen entsprechenden Vorschlag für das sogenannte Gleichstellungspaket an. Dessen Ziel war eine Harmonisierung der Vorschriften über die Elternschaft auf EU-Ebene.

Wie die Kommission sowohl 2022 als auch erneut 2023 festhält, können Kinder aktuell ihr Recht auf Erbschaft und Unterhalt ebenso verlieren wie das Recht, dass einer ihrer Elternteile als ihr gesetzlicher Vertreter in Angelegenheiten der medizinischen Behandlung oder Schulbildung handeln darf. Dies führt zu der Feststellung des Parlamentes in seiner aktuellen Pressemitteilung vom 14. Dezember, dass sich aktuell etwa zwei Millionen Kinder in einer Situation befinden, bei der sie formalrechtlich ihre Eltern verlieren, sollten sie in bestimmte EU-Mitgliedsstaaten einreisen.

Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht deshalb vor, dass

  • die Elternschaft automatisch in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird,
  • eine Verweigerung nur aus triftigem Grund („öffentliche Ordnung“) geschehen darf. Dabei hält das Parlament fest: „Jeder Fall muss einzeln geprüft werden, um sicherzustellen, dass es keine Diskriminierung gibt, z. B. gegenüber Kindern gleichgeschlechtlicher Eltern.“ Wann allerdings ein Fall die „öffentliche Ordnung“ gefährdet, wird offengelassen.

Darüber hinaus sprachen sich die Abgeordneten für die Einführung eines Europäischen Elternschaftszertifikats aus. Dieses wird die nationalen Dokumente zwar nicht ersetzen „[…] kann aber an deren Stelle verwendet werden und wird in allen EU-Sprachen und in elektronischem Format zugänglich sein.“

Im nächsten Schritt müssen nun die EU-Regierungen „einstimmig“ über die endgültige Fassung entscheiden. Ob bzw wie diese „einstimmige“ Entscheidung ausgeht, bleibt abzuwarten. Laut Tagesspiegel hatten mehrere Länder, darunter Ungarn und Italien, bereits im Vorfeld ihre Ablehnung mitgeteilt.

Wie echte vielfalt bereits im Dezember 2022 mit Verweis auf die NGO forbidden colours berichtete, liegt das Problem weniger im mangelnden Recht. Laut eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) besteht bereits allein aus dem Recht zur Freizügigkeit die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Elternschaft aus einem anderen Mitgliedsstaat anzuerkennen. „Mitgliedstaaten wie Bulgarien und Rumänien ignorieren [bis heute] Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs zur gegenseitigen Anerkennung der Elternschaft.“

Es wird somit auch bei dem neuen Gesetz darum gehen, ob und wie das Recht in der Praxis zur Anwendung kommt. Insbesondere wir dabei die Anwendung der Klausel zur „öffentlichen Ordnung“ zu beobachten sein.

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Während das Thema Regenbogenfamilien immer mehr in den öffentlichen Diskurs gerät, gibt es weiterhin recht wenig Repräsentation von Familienmodellen mit trans* und/oder nicht-binären Elternteilen. Zudem ist es oft schwierig, an Informationen zu kommen. Um diese Wissenslücke zu füllen, hat der Bundesverband Trans* 2021 eine Broschüre herausgegeben. Darin sollen den betroffenen Eltern(-teilen) oder Personen mit Kindeswunsch einige Fragen beantwortet und deutlich gemacht werden, dass Kinderwunsch und Transgeschlechtlichkeit vereinbar sind.

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Der Bundesverband Trans* klärt in der Broschüre „Trans* mit Kind! Tipps für Trans* und Nicht-Binäre Personen mit Kind(ern) oder Kinderwunsch“ ausführlich über verschiedene Fragen auf. Dabei geht es sowohl um rechtliche Fragen wie die Anerkennung bei nicht-biologischer Elternschaft als auch um Möglichkeiten von biologischer Schwangerschaft. So geht es zum Beispiel um den Einfluss von Hormontherapien auf die Fruchtbarkeit oder Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung. Erst seit 2011 ist eine biologische Elternschaft für trans Personen möglich, bis dahin war in § 8 Absatz 3 des Transsexuellengesetzes (TSG) ein Sterilisationszwang bei der Änderung des Geschlechtseintrags angeordnet.

Ebenso werden in der Publikation verschiedene Aspekte von trans oder nicht-binärer Elternschaft diskutiert, die unter anderem auch den Umgang mit verschiedenen Institutionen wie Kita, Schule und Behörden diskutieren. Denn in diesen Situationen würden trans und nicht-binäre Eltern oft auf Unwissenheit und Unverständnis stoßen. So stellt der Bundesverband Trans* einige Tipps zusammen, wie queere Elternteile in cis-heteronormativen Strukturen handeln können, beispielsweise mit einem Musterschreiben, das Standesämter trans Vätern, die ein Kind geboren haben, ausstellen können, um den Beantragungsprozess von Kindergeld o.ä. zu erleichtern.

Auch Fragen der Erziehung und des Coming-Outs bei den eigenen Kindern werden verhandelt. Zuletzt werden auch Vernetzungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für trans und nicht-binäre Eltern aufgelistet. Auch das Regenbogenportal hat auf seiner Webseite Informationen zum Thema Trans* Elternschaft veröffentlicht.

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Anlässlich der einjährigen Verabschiedung des Aktionsplans „Queer leben“ der Ampelregierung richten sich 36 queere Organisationen mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und alle Kabinettsmitglieder. Darin fordern sie mehr Einsatz für die LGBTIQ* Gemeinschaft in Deutschland.

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Vor etwa zwei Jahren versprach die Ampelregierung mit ihrem Koalitionsvertrag einen „queerpolitischen Aufbruch“ (queer.de berichtete). Nun ziehen queere Organisationen Bilanz zu der Umsetzung des queerpolitischen Vorhabens und befürchten sein Scheitern. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sowie 35 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren den unzureichenden Einsatz der Regierung in den folgenden Bereichen und stellen mit ihrem offenen Brief Forderungen an die Bundesregierung:

Queerfeindlichkeit

Die Verfasser*innen äußern ihre Besorgnis über die negative Entwicklung hinsichtlich der Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, was sich sowohl in den sozialen Medien, in queerfeindlichen Gewaltdelikten sowie in den Wahlerfolgen der AfD mit ihren queerfeindlichen Parolen abzeichne.

Selbstbestimmungesetz

Das geplante Selbstbestimmungesetz müsse vollständig diskriminierungsfrei sein, im aktuellen Gesetzesentwurf sehen die queeren Organisationen noch einige Mängel. Der LSVD fordert ein Selbstbestimmungsgesetz, „das trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in ihren Grundrechten respektiert“. Konkrete Probleme und Änderungsvorschläge zum Entwurf der Bundesregierung hat der LSVD gemeinsam mit Intergeschlechtliche Menschen e.V. (IMeV) in einer Pressemitteilung veröffentlicht.

Reform des Familien- und Abstammungsrechts

Es wird ein konkreter Zeitplan für die Umsetzung der „längst überfälligen“ Reform des Familien- und Abstammungsrechts gefordert, derzeit gebe es hier noch keine Bemühungen seitens der Ampelregierung. Dies könne noch langjährigen negativen Einfluss auf die Anerkennung von Regenbogenfamilien haben.

Lücken im Gesetz zu Konversionsbehandlungen und im OP-Verbot schließen

Die Regierung habe versprochen, die Lücken im Gesetz zu Konversionsbehandlungen zu schließen, welches bis heute Strafausnahmen beinhalte. Auch Erwachsene müssten vor Konversionsbehandlungen geschützt werden, fordert der LSVD. Zudem müssten die Lücken im Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung geschlossen werden und die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die gesetzlichen Krankenkassen gestärkt werden – beides Versprechungen der Regierungen, die bisher nicht umgesetzt wurden.

Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um sexuelle und geschlechtliche Identität

Queere Personen stoßen immer noch auf Hindernisse bei der Durchsetzung ihrer Rechte gemäß dem AGG. Hier habe die Regierung noch keinen Gesetzesentwurf zur versprochenen Reform geliefert. Darüber hinaus fordern die queeren Verbände eine Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um sexuelle und geschlechtliche Identität, sodass die Rechte von queeren Personen im Grundgesetz geschützt werden.

 

Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören neben dem LSVD AllOut Deutschland, Deutsche Aidshilfe, BiNe – Bisexuelles Netzwerk e.V., Aktionsbündnis gegen Homophobie e.V., Lambda e.V. Jugendnetzwerk, LesbenRing e.V., QueerGrün – Bündnis 90/Die Grünen, SPD Queer, OutInChurch e.V. – Für eine Kirche ohne Angst, nonbinary.berlin und viele weitere. Zu den Forderungen, die im offenen Brief formuliert sind, haben der LSVD und AllOut gemeinsam die Petition „Schluss mit der Sabotage von Queerpolitik in Deutschland“ gestartet.

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Mit dem Verbot gegen die internationale LGBTIQ*-Bewegung durch das Oberste Gericht Russlands erreicht die langjährige Entwicklung repressiver Gesetzgebung des Landes einen neuen traurigen Höhepunkt. Das Gericht gab dabei einem Antrag des Justizministeriums statt, wodurch die internationale LGBTIQ*- Bewegung als „extremistisch“ eingestuft wird.

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Begonnen hatte diese Entwicklung bereits 2013 mit der Unterzeichnung eines Gesetzes zum Verbot von „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" unter Minderjährigen. Im Juni 2022 fand dann eine Verschärfung statt, als das Gesetz für alle Altersstufen ausgeweitet wurde  und die Verbreitung jeglicher Inhalte verbot, die nach Ansicht der Behörden "nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen propagierten“. Echte Vielfalt berichtete über beide Entwicklung bereits in früheren Artikeln (hier und hier). Wie die Deutsche Welle (DW) zusammenfassend feststellt, mussten in der Folge „[…] viele Verlage, Buchhandlungen, Bibliotheken und Online-Kinos […] unter Androhung von Geldstrafen jegliche Erwähnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen […] entfernen“.

Aber auch große Konzerne wie TikTok und Facebook kamen nicht um Geldstrafen herum, als sie sich weigerten Inhalte zu löschen, die eine „Verzerrung traditioneller Werte“ darstellten. Allerdings muss an dieser Stelle der qualitative Unterschied zwischen einer Geldstrafe gegen TikTok von drei Millionen Rubel (etwa 51.000 Euro) und einer ähnlich hohen Geldstrafe gegen eine Buchhandlung oder Bibliothek etc. hingewiesen werden. Während es für erstere eine "symbolische Mahnung“ bedeuten mag, kann es für letztere bis zur existenziellen Bedrohung führen.

Wie die Tageschau bemerkt, sind die konkreten Auswirkungen des neuen Verbots bis jetzt allerdings noch nicht vollends abzuschätzen: „Das Verfahren, das hinter verschlossenen Türen stattfand, richtete sich nicht gegen eine bestimmte Organisation, sondern gegen einen Teil der russischen Gesellschaft.“ Wie die Deutsche Welle schreibt, wird am 10. Januar 2024 der Teil des Verbots, der Bezug auf "strukturelle Organisationen" nimmt, in Kraft treten. Maxim Olenitschew, Anwalt des Menschenrechtsprojekts "Perwyj otdel", befürchtet dazu im Interview mit der DW, dass damit alle Organisationen in Russland gemeint sein, die eine Verbindung zum Thema LGBTIQ* haben. Das Beispiel TikTok und Co. zeigt dahingehend, dass es gerade kleine Vereine und Organisationen sind, die sich in ihrer Gemeinde engagieren, auf die das Urteil besonders einschneidende Auswirkungen haben wird.

Nichtsdestoweniger wird die innerstaatliche Entwicklung ihre Symbolik auch über die Landesgrenzen hinaus entfalten. Laut Tagesschau inszeniert sich Russland mindestens seit Beginn des Ukrainekrieges „als moralisches Bollwerk gegen die angebliche Dekadenz des Westens und begründet sein Vorgehen insbesondere mit dem Schutz von Kindern.“ Eine Signalwirkung, die von den internationalen rechtspopulistischen Akteuren genaustens beobachtet wird. Die Interdependenzen zwischen nationaler Entwicklung als Signal an internationale Akteure haben wir am Beispiel USA - Uganda bereits thematisiert.

Interdependenz bedeutet allerdings auch, dass - egal aus welcher Richtung - Einmischung wirkt. Auch wenn das den Menschen und Vereinen vor Ort kurzfristig vermutlich wenig helfen wird, kann das Engagement von außen und das Schaffen von Zugang zu Informationen und Medien langfristig dennoch Hoffnung spenden.

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Im März 2023 konnte man in verschiedenen Presseportalen von Ugandas Debatte um einen neuen Gesetzesentwurf lesen, der eine umfassende Kriminalisierung für Homosexuelle bedeuten würde. Nach einiger Verzögerung und massiven Sanktionsandrohungen u.a. von den USA trat das Gesetz dennoch am 29. Mai in Kraft. Ein Ereignis, das zumindest damals internationale Aufmerksamkeit fand. Mittlerweile ist es in der Berichterstattung allerdings ruhig geworden.

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Noch im August berichteten wir über das Schließen des UN-Büros in Uganda und die Einstellungen der Kreditzahlungen durch die Weltbank. Besonders perfide war allerdings der Befund des „Institute for Journalism and Social Change“, das die Verflechtungen zwischen den im Land wie auch anderswo geführten Anti-LGBTIQ* Werbekampagnen und evangelikalen Finanzgebern aus den USA nachzeichnete, während die amerikanische Regierung Uganda gleichzeitig mit Sanktionen drohte.

Im selben Monat berichtete die BBC über die erste Anklage wegen „schwerer Homosexualität“, die mit dem neuen Gesetz als Kapitalverbrechen gilt. Der Angeklagte, ein 20-jähriger Mann, muss nun bis zur Urteilsverkündung im Gefängnis bleiben. Wann das Urteil zu erwarten ist, bleibt offen. Ebenfalls ergebnisoffen bleibt ein Bericht von Reuters, wonach eine Gruppe von Rechtsaktivist*innen vor dem ugandischen Verfassungsgericht versucht hatte, Klage gegen das Gesetz einzureichen. Weiter heißt es, dass bis zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Menschen angeklagt wurden. Weit mehr Personen sollen allerdings Folter, Vertreibung und Einschüchterung ausgesetzt sein, so das Fazit der Rechtsaktivist*innen im Reuters-Interview.

Der Nachrichtensender Aljazeera bringt das Problem auf den Punkt. Das Gesetz bedeutet nicht bloß rechtliche Verfolgung, sondern ebnet den Weg für eine Zunahme privater Gewalt gegen LGBTIQ* Personen. Es ist ein Signal an die Bevölkerung, aber auch an die internationalen Finanziers von Anti-LGBTIQ*-Propaganda. Dazu gehört auch die Beobachtung, dass Uganda gerade vor dem Hintergrund zweier Kriege aus dem medialen Blick verschwunden ist.

Was hier für Uganda gilt, ist allerdings ein grundsätzliches Problem des medialen Aufmerksamkeitsmanagement. Vielleicht hilft es aber, wenn offizielle Interessenvertreter*innen, Institutionen und/oder Vereine ab und zu ihre vergangenen Stellungnahmen und Berichte zu unabgeschlossenen Themen in Erinnerung rufen, selbst wenn diese nicht der „Tagespolitik“ entsprechen - ganz besonders dann, wenn gerade kein Wahltag von, für oder gegen irgendetwas ansteht.

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Mehr als drei Wochen nach dem Sturz des republikanischen Ex-Sprechers des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten Kevin McCarthy durch radikale Abgeordnete seiner eigenen Partei, wurde ein neuer Sprecher gewählt. Der ultrareligiöse Republikaner Mike Johnson, der von Ex-Präsident Trump unterstützt wird und als rechter Politiker in der Fraktion gilt, hat den Posten übernommen.

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Als dritthöchste Position in der Nachfolge des Präsidenten folgt er auf US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris. Die Wahl ist besonders besorgniserregend für die LGBTIQ*-Community, da Johnson öffentlich gegen ihre Rechte eintritt. Wie The Guardian berichtet, basiert Johnsons politisches Verständnis auf der Bibel und sieht diese als wahre und legitime Quelle für sein politisches Handeln. Von 2002 bis 2010 arbeitete er für „Alliance Defending Freedom (ADF)“, eine radikale queerfeindliche Gruppierung, die von rechten Christen gegründet wurde mit Zielen wie die Kriminalisierung von nicht-heterosexuellen Geschlechtsakten und die staatlich sanktionierte Sterilisierung von trans Personen. Die Organisation Southern Poverty Law Center (SPLC) stuft die ADF als extremistische „Hate Group“ ein. Während seiner Tätigkeit dort beriet Johnson „Exodus International“, eine christliche Organisation, die bis 2013 Konversionstherapien durchführte. Johnson kollaborierte auch darüber hinaus mit Exodus International, um den „Day of Truth” zu veranstalten, ein an Jugendliche gerichtetes Event, dass die angebliche Vermarktung eines queeren ‚Lifestyles‘ verhindern sollte (CNN). Die Grundlage dieser Idee beruht auf der Überzeugung, dass Homosexualität eine bewusste Entscheidung ist. Johnson betont, dass Homosexualität nicht natürlich sei und Menschen die freie Wahl hätten, dieses ‚Verhalten‘ abzulegen. Jegliche Form von Queerness wird als eine Bedrohung für sein christliches Weltbild verstanden. Der neue Sprecher des Repräsentantenhauses geht sogar so weit zu behaupten, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eine Gefahr für die Demokratie darstelle. In einem Artikel, den er 2004 für The Times Louisiana geschrieben hat, legt Johnson dar, dass dieses Recht einen Schritt in Richtung ‚sexuelle Anarchie‘ bedeuten würde und vergleicht Homosexualität mit Pädophilie und Zoophilie. In einem politischen Klima, in der LGBTIQ*-Rechte immer stärker bedroht sind, signalisiert die Wahl von Mike Johnson einen weiteren Rückschlag für die US-amerikanische queere Community. Nicht nur seine Verbindung zu Organisationen wie ADF und Exodus International bilden seine queerfeindliche Agenda ab. Johnson vertrat auch im Kongress eine rechte Politik, die sich gegen die Rechte der LGBTIQ-Gemeinschaft richtet, berichtet Advocate.

Das Selbstbestimmungsgesetz und der dahinterliegende Diskurs waren schon des Öfteren Thema an dieser Stelle. Dabei ging es auch um die implizierte Diskriminierung und das zugrundeliegende Misstrauen, das in einigen der Entwurfsformulierungen anzufinden ist.

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Am 20. Oktober wurde der Gesetzesentwurf dem Bundesrat vorgelegt. Wie die Zeit berichtet, ließ dieser das Gesetz mit dem Hinweis zurückgehen, das Diskriminierungsrisiko durch eben jene Formulierungen sei zu hoch. Wie hier bereits in Bezug auf die „Hausrechtsklausel“ thematisiert wurde, besteht dabei die Gefahr einer Problemverschiebung. Sowohl der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) als auch der Verein Frauenhauskoordinierung e.V. verwiesen explizit auf das Schutzbedürfnis von trans* und nichtbinären Personen und betonen, das die Gefahr für Frauen, die oft als gegen Argument verwendet werde, eben nicht von diesen ausgehe. Was hier über die administrative Ebene des Geschlechtseintrags verhandelt wird, ist das Recht, das eigene Geschlecht ohne große Hürden „formal selbst zu definieren“. Gleichwohl sollte ebenso respektiert werden, dass Frauen insbesondere mit sexualisierten Gewalterfahrungen auch eigene Räumlichkeiten nutzen können, was dem Recht auf Schutz von trans Personen keineswegs widerspricht.

Parallel dazu findet über den medizinischen Bereich und seine Behandlungsmöglichkeit bei Geschlechtsinkongruenz eine Verhandlung über das körperliche Selbst statt. Im Unterschied zum administrativen Selbst geht es hierbei allerdings um eine weit invasivere Veränderung, verbunden mit einer schwierigeren Reversibilität (falls notwendig). Auch sind mit Ärzt*innen und ggf. Eltern zusätzliche Verantwortungsinstanzen involviert. Diese stehen vor dem Problem, dass sie, wie bei jedem anderen Eingriff auch, immer die „richtige Entscheidung“ abwägen müssen. In dem Artikel auf Echte Vielfalt zur Norwegens nationaler Untersuchungskommission für das Gesundheits- und Pflegewesen (UKOM) wurde auf die immer noch schwache Datenlage der medizinischen Forschung in Bezug auf trans*und nichtbinäre Personen hingewiesen. Ein Fazit war, dass neben dem Bedarf an gendergerechter Forschung, wie ihn die UKOM fordert, vor allem Pauschalisierungen und eine emotionalisierte Debatte Gefahr darstellen.

Allerdings ist auf der körperlichen Ebene ein weiterer Faktor entscheidend, der bereits relativ unabhängig vom gesellschaftlichen und medizinischen Diskurs faktische Ungleichheit schafft. Wie das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 19. Oktober entschied, sind „[…] körpermodifizierende Operationen bei Trans-Personen* Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode […]. Über deren Anerkennung muss zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss entscheiden, bevor Versicherte die Leistung von ihrer Krankenkasse beanspruchen können.“

Solange diese Entscheidung aussteht, wird die körperliche „Selbstbestimmung“ auch durch den ökonomischen Status von trans* und nichtbinären Personen beeinflusst. Das könnte einige Menschen zu riskanten Handlungen veranlassen und/oder eine Zwei-Klassen-Struktur hervorrufen. Ein Umstand, den es sich lohnt, frühzeitig und aufmerksam zu verfolgen.

Langfristig werden beide Ebenen wohl immer wieder zur Debatte stehen, da Fragen über „Selbst“ und „Sein“ immer auch zur Kontroversen führen. Gleichzeitig liegt gerade bei den Diskursteilnehmenden, die nicht direkt und persönlich involviert sind, eine höhere Verantwortung, die Positionen immer wieder aufs Neue abzuwägen und nicht zu pauschalisieren.

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