Echte Vielfalt

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Am 14. Mai 2023 wird in der Türkei gewählt. Dabei wird entschieden, ob der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan weiter regieren wird. Dieser greift im Wahlkampf auf eine Anti-LSBTIQ* Rhetorik zurück. Der Ausgang der Wahl wird entscheidend für die Situation von queeren Personen und Frauen im Land sein.

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Erdoğans Partei AKP tritt im Wahlbündnis mit nationalistischen und islamistischen Parteien an, gemeinsam verfolgen sie eine queerfeindliche und antifeministische Politik. Homo-, Bi- und Transsexualität wurden erst kürzlich von Erdoğan als pervers bezeichnet und als Bedrohung für die traditionelle Familienstruktur dargestellt. Im Jahr 2021 ist die Türkei aus der Istanbuler Konvention gegen Gewalt an Frauen ausgetreten, mit der Begründung, dass Homosexualität darin normalisiert werde. So drückt sich die ablehnende Haltung Erdoğans gegenüber der LSBTIQ*-Community nicht erst im Wahlkampf aus. Die türkische Regierung ist in den letzten Jahren bereits mehrfach mit ihrem harten und repressiven Vorgehen gegenüber queeren Personen aufgefallen (echte vielfalt berichtete).

Dass sich Oppositionelle für die Rechte von LSBTIQ* einsetzen, wird ihnen im jetzigen Wahlkampf zum Vorwurf gemacht. Wie der Tagesspiegel berichtet, wird in den Wahlkampfreden der AKP, die in den öffentlichen Medien ausgestrahlten werden, stets davor gewarnt, dass die Türkei in die Hände von LSBTIQ* Personen gerate. So tragen auch die Medien dazu bei, dass queerfeindliche Tendenzen in die Gesellschaft getragen werden. Laut FAZ beklagt die Opposition, dass die staatlichen Sender Präsident Erdoğan eine deutlich größere Bühne bieten als seinem liberaleren Konkurrenten Kemal Kilicdaroglu. Dieser wird zusätzlich von AKP-Mitgliedern angegriffen und manipuliert, wie erst kürzlich mit einem gefälschten Wahlvideo, dass den Oppositionsführer mit der kurdischen PKK in Verbindung bringen soll.

Trotz der ungerechten Mittel im Wahlkampf ist der Ausgang noch nicht entschieden, es bleibt ein enges Rennen zwischen den beiden Kandidaten. Erstmals könnte nach 20 Jahren die Türkei von jemand anderem als Erdoğan regiert werden, was ein Hoffnungsschimmer für die türkische queere Community sein könnte. Jedoch ist eine queerfeindliche Rhetorik auch in Teilen der Opposition bemerkbar, etwa in der konservative Saadet Partei, welche dem Oppositionsbündnis unter Kilicdaroglu angehört.

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Ein Deutscher wird unter dem Vorwurf, Homosexualität zu bewerben, aus Russland abgeschoben. Die „Propaganda“ für „nicht-traditionelle“ sexuelle Beziehungen ist unter russischem Gesetz eine Straftat. Außerdem wurde er zu einer Geldstrafe von circa 1.700 Euro verurteilt.

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Offenbar habe der deutsche Staatsbürger versucht, online einen Mann kennenzulernen. Russische Medien berichten davon, dass er ihn zu sich ins Hotelzimmer eingeladen habe. Fraglich bleibt, inwiefern dies als „Propaganda“ für Homosexualität zu verstehen ist. Bereits Anfang April wurde das Gerichturteil beschlossen. Nun soll er über die Türkei nach Deutschland gebracht werden.

Die Rechte von LSBTIQ*-Personen sind in Russland stark eingeschränkt. Im Juni 2022 wurde ein seit 2013 bestehendes Gesetz verschärft, dass die „Werbung“ für Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit verbietet. Geld- sowie Haftstrafen können bei Verstößen folgen. Mit dem sogenannten „Gay Propaganda“ Gesetz werden queere Personen stark diskriminiert, in die Unsichtbarkeit und Illegalität gedrängt. Homo- und Queerfeindlichkeit kann öffentlich kaum mehr kritisiert werden, da Aktivist*innen mit hohen Repressionen rechnen müssen.

Auf Basis des Gesetzes wurde unter anderem auch vor kurzem die Social-Media Plattform TikTok zu einer Geldstrafe verurteilt. Allein eine positive Darstellung von nicht-heterosexuellen Beziehungen kann rechtlich verfolgt werden, auch in Filmen und Büchern. So müssen auch Streaming-Anbieter und Verlagshäuser mit Verboten, Einschränkungen und Strafen rechnen.

Wie echte vielfalt im Januar berichtete, wurden queere Personen auch zur Angriffsfläche in Putins diesjährigen Rede zur Lage der Nation. Das Feindbild des Westens würde traditionelle Werte zerstören. So wird der Ausbau von Rechten für Angehörige der LSBTIQ*-Community als Gefahr für die russische Bevölkerung konstruiert. Seit der Einführung des Gesetzes 2013 hat sich nach Angaben von Human Rights Watch die Situation für queere Personen verschlimmert. Unter anderem werden damit Vorurteile gegenüber homosexuellen Personen verstärkt und ein queerfeindliches Klima im Land geschürt.

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Der Verfassungsschutz hat die Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative“ (JA) sowie zwei weitere Organisationen als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Zusätzlich zu dem starken Rassismus ist auch Queerfeindlichkeit Teil von den rechten Ideologien, die die Gruppierungen vertreten.

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Am Mittwoch, 26. April, bestätigte das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass die Junge Alternative, das Institut für Staatspolitik (IfS) und der Verein „Ein Prozent“ verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgten und ihre Positionen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Alle drei Gruppierungen können in der Neuen Rechten verortet werden. Das IfS steht unter der Leitung von Götz Kubitschek, welcher einer der zentralen Figuren der rechtsintellektuellen Bewegung in Deutschland ist. Er gründete auch den Verein „Ein Prozent“ mit, der nun vom Verleger Philipp Stein geleitet wird. Dieser wiederum ist ebenfalls vernetzt in der Neuen Rechten, beispielsweise mit der „Identitären Bewegung“, die bereits vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die Organisationen fallen vor allem mit ihrer rassistischen Hetze gegen Geflüchtete und Migrant*innen und dem Verbreiten völkischer Ideologien auf, die mit Begriffen wie „Umvolkung“ oder „Volkstod“ in den Diskurs getragen werden. Aber auch Gender und Sexualität werden zur immer größeren Zielscheibe der rechtsextremen Programmatik. Mit dem Einführen des Ausdrucks „Genderismus“ hat die Neue Rechte einen Kampfbegriff gegen Gender-Mainstreaming, also das Einbeziehen geschlechterspezifischer Fragen in alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche, eingeführt. Rassistische Narrative werden zudem oft mit einer Vorstellung von Geschlechterrollen und Familienmodellen verknüpft, so wird zum Beispiel suggeriert, dass nur die heterosexuelle Ehe zwischen Mann und Frau die völkische Ordnung sichern könne.

Auch die AfD, die als rechtsextremer Verdachtsfall gilt, nimmt regelmäßig Position gegen einen vermeintlichen „Gender-Wahn“ ein, vertritt homo- und transfeindliche Inhalte und verfolgt eine heteronormative Familienpolitik. Wie queer.de hervorhebt, gilt ihre Jugendorganisation als noch radikaler und fällt regelmäßig mit ihrer Queerfeindlichkeit auf. Aber nicht nur in sprachlichen Äußerungen ist der rechte Hass auf Minderheiten spürbar. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit des rechtsextremistischen Milieus, in welchem sich JA, IfS und „Ein Prozent“ befinden, drückt sich auch in gewaltvollen Aktionen aus. Im Jahr 2021 allein gab es nach Angaben des Verfassungsschutzes über 20.000 rechtsextreme Straftaten.

Dass die JA sowie die zwei weiteren Organisationen bedrohlich sind, beweist also auch die jetzige Einstufung durch den Verfassungsschutz. Auch Innenministerin Faeser betitelt den Rechtsextremismus als größte Gefahr für unsere Demokratie. So stehen die Gruppierungen nun unter strengerer Beobachtung, wobei zu hoffen bleibt, dass rassistische und queerfeindliche Taten damit besser verhindert werden können.

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Im Prozess um Ugandas neuen Anti- LGBTIQ*-Gesetzesentwurf deuten sich minimale Veränderungen an. Ob diese allerdings eine Abmilderung des zutiefst menschenfeindlichen Gesetzesentwurfs bedeuten, ist zu bezweifeln.

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Unter anderem sieht der Gesetzesentwurf neben hohen Freiheitsstrafen bei Homosexualität oder versuchter Homosexualität zusätzlich die Möglichkeit der Todesstrafe vor. Bereits Mitte April hatte echte vielfalt über die kurz vor der parlamentarischen Abstimmung hinzugefügte Todesstrafe berichtet und die mögliche Signalwirkung thematisiert, die ein solches Gesetz international haben könnte.

Nun wurde das Gesetz am Donnerstag, 20. April 2023, Präsident Museveni zur Unterzeichnung vorgelegt. Dieser ließ jedoch, nach einer Meldung des Deutschlandfunks, den Entwurf mit „Vorschlägen zur Verbesserung an das Parlament zurückgehen“. Wie der Deutschlandfunk weiter berichtet, ließ in diesem Zuge ein Sprecher des Präsidenten verlauten, dass es bei den Verbesserungen explizit nicht um das Strafmaß gehe.

Also keine Rückweisung wegen der Todesstrafe und schon gar nicht ein Sinneswandel des Präsidenten. Im Gegenteil: Laut eines Berichts des Guardian sei Museveni grundsätzlich mit dem Entwurf einverstanden gewesen. Allerdings solle er das Parlament gebeten haben, „die Frage der Rehabilitation" zu berücksichtigen. Dabei bezeichnete er Homosexualität als psychische Desorientierung. Während sich einige Menschenrechtsorganisationen durch die Verzögerung weiter an die Hoffnung klammern, das Gesetz noch verhindern zu können, begrüßen Teile der Befürwortenden die Anmerkungen mit der Begründung, es sei „human und legitim“, Rehabilitierung und Rehabilitationszentren ins Gesetz aufzunehmen.

In Wirklichkeit handelt es sich bei den Vorschlägen nicht um Fortschritte, sondern eine solche Ergänzung würde vielmehr eine weitere Verschärfung bedeuten. Wie Adrian Jjuuko vom „Human Rights Awareness and Promotion Forum" in Kampala in einem Zitat des Guardian bemerkt, würde durch die Ergänzungen eine Kultur der Denunziation gefördert, in der eine Person, die um Rehabilitation ihrer ‚psychischen Desorientierung‘ bittet, als Opfer gelten würde, während die andere Person als Täter gebrandmarkt werde. Aber damit nicht genug. Aus der deutschen Problematisierung der sogenannten „Konversionstherapien“ wissen wir, dass eine Psychologisierung weit mehr Schaden anrichten kann als „nur“ Stigmatisierung. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt dazu auf seiner Webseite:

„Wissenschaftlich nachgewiesen sind aber schwerwiegende gesundheitliche Schäden durch solche „Therapien“ wie Depressionen, Angsterkrankungen, Verlust sexueller Gefühle und ein erhöhtes Suizidrisiko. Nachgewiesen sind zudem Stigmatisierungs- und Diskriminierungseffekte auf Dritte in Form von Minderheitenstress.“

Nach Überarbeitung des Gesetzesentwurfes durch das ugandische Parlament hat Museveni weitere 30 Tage Zeit, um das Gesetz entweder zu unterzeichnen, es erneut zur Überarbeitung an das Parlament zurückzugeben oder sein Veto einzulegen und das Parlament zu informieren. Allerdings, so der Guardian, könne das Gesetz auch ohne die Zustimmung des Präsidenten in Kraft treten, wenn es ein zweites Mal an das Parlament zurückginge.

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Welche Macht die Wahl von Worten für den öffentlichen Diskurs hat, wurde hier schon in mehreren Artikeln angesprochen. Nun veröffentlichte die CSU ihr neues Grundsatzprogramm.

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Dabei schreibt sie sich nach Berichten der Magazin queer und Mannschaft sowie der Zeitung die Zeit unter anderem auch den Kampf gegen einen „linken Kulturkampf in Form von Identitätspolitik, Wokeness und Cancel Culture“ auf die Fahne. Bereits im Februar wurde auf echte-vielfalt.de über die problematische Rhetorik von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Zuge des politischen Aschermittwochs berichtet. Die mit der Verfassung beauftragte Grundsatzkommission scheint nun genau an der Stelle wieder anzusetzen. Am 6. Mai soll das Programm dann auf einem Parteitag verabschiedet werden.

Um zu verstehen, wie problematisch die Wortwahl von Söder und den Verantwortlichen des CSU-Grundsatzprogramms ist, hilft ein Blick in die USA. Im Zusammenhang mit dem „don’t say gay“-Gesetzentwurf in Florida hatte echte vielfalt bereits berichtet, dass nicht nur tatsächliche Sprachverbote abwerten und Realitäten schaffen. Stattdessen war es nach Angabe der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Konservativen in Amerika gelungen, die Begriffe „political correctness“ und „woke“ zu einem Synonym für linken Autoritarismus umzudeuten. Dabei bedeutete „woke“ ursprünglich, „wachsam gegenüber Rassismus, Sexismus und anderen Unterdrückungsverhältnissen“ zu sein.

Mit der Benennung von „Kulturkampf, Wokeness und Cancel Culture“ springt die CSU auf diesen Zug auf. Dabei drängt das Argument nicht nur die berechtigte Forderung nach Anerkennung und Würde in die Ecke, sondern es schafft gleichzeitig, all jene Konservativen, die nicht auf derselben Schiene fahren wie die CSU, als einheitliche Front zu reklamieren. Unterm Strich sorgt dies dafür, dass vor allem gesellschaftliche Akzeptanz unterminiert wird, anstatt eine ernsthafte Debatte über Würde, Rechte und Bedenken zu führen. Auch dazu findet sich ein Beispiel aus einem früheren Artikel über die USA.

Grundsätzlich sind „die“ LSBTIQ* Gemeinschaft und „die“ Konservativen keine gegensätzlichen Lager. Vielmehr handelt es sich um Konstruktionen, die wiederum jederzeit relativiert werden können. Das bedeutet, dass sich gerade nicht-parteipolitische Akteure immer wieder selbst artikulieren sollten. Sowohl Menschen, die sich als LSBTIQ* verstehen, dürfen ebenso eine konservative Haltung besitzen wie Konservative eine nicht-diskriminierende Haltung.

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Leslie Feinbergs Roman „Stone Butch Buch“ wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Zur Ehrung des Werkes, das tiefe Einblicke in die Lebensrealitäten lesbischer und trans Personen gibt, veranstaltet das Zentrum Gender & Diversity Hamburg (ZGD) am 5. und 6. Mai 2023 die Online-Tagung „30 Jahre Stone Butch Blues – Erinnerungen und Perspektiven“.

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Die Autorin und Aktivistin Leslie Feinberg ist eine sehr bedeutsame Figur für die US-amerikanische LGBTIQ*-Bewegung. Ihr Roman Stone Butch Blues wurde mit dem Stonewall Book Award ausgezeichnet. Das Buch bringt die Leser*innen in die Welt von Femmes, Butches und Drag Queens der US-amerikanischen queeren Communities, die die Protagonistin Jess Goldberg durchkreuzt. Dabei illustriert Feinberg auch die Gewalt, die viele queere Personen zu der Zeit erfahren mussten. Als eines der ersten Werke, das medizinische Transition und Detransition sowie die Beziehung von trans und lesbischen Identitäten behandelt, gilt Stone Butch Blues als Kultroman und Klassiker in der queeren Literatur.

Mit zahlreichen Veranstaltungen wird das Publikationsjubiläum Anfang Mai gefeiert. Alle Vorträge und Performances zum Thema sind in das Programmheft der Tagung (PDF) aufgenommen. Die Angebote sind vielfältig, unter anderem gibt es Vorträge zu Lesben mit Unterstützungsbedarf, antirassistischer Sexualerziehung, queeren und jüdischen Identitäten sowie einige Beiträge, die sich direkt mit dem Roman beschäftigen. Zum Abschluss der Tagung findet eine Lesung der Lyrikerin und Lebenspartnerin von Leslie Feinberg, Minnie Bruce Pratt, statt. Die Teilnahme ist kostenlos, bis zum 1. Mai kann man sich auf der Webseite des ZGDs anmelden.

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Die Debatte um die Umschiffung des Begriffs „Mutter“, die die Tagesschau mit ihrem Artikel zum „Sonderurlaub nach Geburt des Kindes“ losgetreten hatte, war in der breiten Öffentlichkeit so schnell wieder vorbei, wie sie gekommen war.

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Einen guten Überblick über die Ereignisse liefert die Rheinische Post. In der Debatte ging es um einen Artikel (bereits korrigierte Version) der Tagesschau, die über einen Gesetzesentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) berichtet hatte. Der Gesetzesentwurf sieht vor, nicht nur Müttern, sondern auch deren Partner*innen zwei Wochen Sonderurlaub nach der Geburt zu ermöglichen. Allerdings hatte die Tagesschau statt „Mutter“ den Begriff „entbindende Person“ verwendet. Eine Formulierung, die der Bild sauer aufstieß, und die daraufhin wissen wollte, wieso? Die Antwort der Tagesschau: sie wolle möglichst niemanden diskriminieren. Für die Bild macht dieser missglückte Versuch aus der Tagesschau „die selbst ernannte Sprachpolizei“, die den Begriff Mutter „verbieten“ wolle. Dabei liegt das Problem vor allem in der Wortwahl.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass Geschlecht (eine Fortpflanzungskategorie), Gender (eine gesellschaftliche Rolle) und Geschlechtsidentität (ein inneres Selbstverständnis) keine Synonyme darstellen. In einer offenen Kommunikation wird es daher notwendig abzuwägen, ob und wann das Geschlecht eine relevante Rolle spielt und wann seine Vermeidung angebracht ist. Dies erleichtert die Vermeidung von Geschlechtsstereotypen und stellt gleichzeitig sicher, dass geschlechtsspezifische Bedürfnisse und Probleme nicht übersehen werden. Das gilt besonders für Institutionen wie die Tagesschau. Aus diesem Grund ist kritisches Hinterfragen der Tagesschau durchaus legitim. Aber wo genau liegt nun das Problem?

Der nachfolgende Problemaufriss orientiert sich an einem Artikel von Frontiers in Global Women's Health. Die vollständige Quelle befindet sich unterhalb dieses Artikels.

Die Entsexualisierung von Sprache in Bezug auf die weibliche Fortpflanzung hat zunächst das legitime Ziel, zugewandt und integrativ zu sein. Doch diese Zugewandtheit kann unbeabsichtigte Folgen haben. Zuallererst stehen wir vor dem Dilemma, dass jeder Versuch der Inklusion einer Gruppe gleichzeitig die Gefahr einer allgemeinen Verringerung von Inklusion beinhalten kann. So birgt eine Veränderung von alltäglichen Begriffen das Potenzial, dass junge Menschen, Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen oder geringer Bildung, Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Menschen, die nicht in ihrer Muttersprache angesprochen werden, Gefahr laufen, geschlechtsunspezifische Sprache misszuverstehen. Daneben sind medizinische Begriffe auch für Personen mit hohem Bildungsstand und der passenden Muttersprache nicht automatisch verständlich. Die Folgen sind Missverständnisse und Ungenauigkeiten, die wiederum zu Angst, aber auch zur Mangelversorgung führen können, wenn Menschen nicht verstehen, welche Hilfe und Rechte sie betreffen und welche nicht.

Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Problem der neutralen Sprache insbesondere in Bezug auf Mütter und Geburt ist, dass sich die alternativen Bezeichnungen für „Frauen“ und „Mütter“ auf Körperteile oder physiologische Prozesse beziehen und damit diese Individuen auf ihre biomechanischen Funktionen reduzieren. Dabei geht es nicht um die Frage einer Beleidigung, sondern gerade im Kontext von Schwangerschaft und Geburt und der Stellung der Frau gegenüber dem Mann ist Gewalt in dieser Lebensphase ein nicht zu ignorierendes Phänomen. Eine verbale Entmenschlichung könnte hierbei zu physischen Folgen führen.

Darüber hinaus birgt die Vermeidung des Begriffs „Mutter“ in seiner geschlechtsspezifischen Bedeutung die Gefahr, dass die Anerkennung und das Recht auf Schutz der Mutter-Kind-Beziehung geschmälert werden. Gerade für Säuglinge haben Mütter eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Diese ist umso essenzieller, wenn durch Katastrophen, Armut oder eine Frühgeburt, aber auch häusliche Gewalt etc. der Schutz besonders hohe Bedeutung erhält. Sprachliche Veränderungen haben hingegen das Potenzial, in dem Prozess die Anerkennung dessen zu untergraben, was Mütter für alle Säuglinge bedeuten.

Obwohl also die Kritik gegenüber der Tagesschau legitim ist, hat es die Bildzeitung mit ihrer populistischen Wortwahl geschafft, alle Seiten in eine verhärtete Abwehrhaltung zu drängen. Die Debatte um Sprache funktioniert aber nur, wenn es gelingt, ein Verständnis für Bedenken zu entwickeln. Ansonsten bleibt das Ganze eine Schlacht der Gefühligkeit, unter der am Schluss häufig diejenigen leiden, die ihre Bedürfnisse am schlechtesten artikulieren können. Diese Verantwortung tragen dabei vor allem diejenigen Personen und Institutionen mit der größten Reichweite. Das gilt sowohl für die großen Medienhäuser als auch für die verschiedenen (LSBTIQ*)-Institutionen und Vereine auf allen Seiten.

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  Quelle: Front Glob Womens Health. 2022; Effective Communication About Pregnancy, Birth, Lactation, Breastfeeding and Newborn Care: The Importance of Sexed Language. (3: 818856.) Published online 2022 Feb 7. doi: 10.3389/fgwh.2022.818856

Ein großer Erfolg für die queere Community stellte die Verleihung des deutschen Buchpreises 2022 an Kim de l’Horizon dar – die erste nicht-binäre Person, die einen der wichtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum erhalten hat.

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Die geschlechtliche Identität von Autor*innen spielt für die Repräsentation von queeren Menschen in der Literatur eine immer größer werdende Rolle. Im Folgenden stellen wir fünf Bücher von trans und nicht-binären Autor*innen vor, die die Erfahrungen und Realitäten von Identitäten jenseits der cis-Geschlechtlichkeit beschreiben.

Blutbuch – Kim de l’Horizon

„Die Erzählfigur in "Blutbuch" identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aufgewachsen in einem schäbigen Schweizer Vorort, lebt sie mittlerweile in Zürich, ist den engen Strukturen der Herkunft entkommen und fühlt sich im nonbinären Körper und in der eigenen Sexualität wohl. Doch dann erkrankt die Großmutter an Demenz, und das Ich beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen: Warum sind da nur bruchstückhafte Erinnerungen an die eigene Kindheit? Wieso vermag sich die Großmutter kaum von ihrer früh verstorbenen Schwester abzugrenzen? Und was geschah mit der Großtante, die als junge Frau verschwand? Die Erzählfigur stemmt sich gegen die Schweigekultur der Mütter und forscht nach der nicht tradierten weiblichen Blutslinie. Dieser Roman ist ein Befreiungsakt von den Dingen, die wir ungefragt weitertragen: Geschlechter, Traumata, Klassenzugehörigkeiten. Kim de l'Horizon macht sich auf die Suche nach anderen Arten von Wissen und Überlieferung, Erzählen und Ichwerdung, unterspült dabei die linearen Formen der Familienerzählung und nähert sich einer flüssigen und strömenden Art des Schreibens, die nicht festlegt, sondern öffnet.“ (perlentaucher)

Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. über trans Sein und mein Leben - Phenix Kühnert

„Der Kampf für Gerechtigkeit und trans* Rechte? – ein Kampf für uns alle!
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose … Sprache, Identität und vor allem: Empathie.

Der Name einer Sache verkörpert deren Bild, unsere Vorstellung davon und die damit verbundenen Gefühle. Oder: Eine Sache wird zur Sache durch ihre Benennung. Doch wie können wir diesen einfachen Gedanken auf unsere Umgebung übertragen? Phenix Kühnert ist sich sicher: mit Empathie. Wir leben in einer Gesellschaft, die alle ausschließt, die von der Norm abweichen. Phenix nimmt uns an die Hand, macht deutlich, wie sehr Sprache unser Denken prägt, was es heißt, die eigene Identität abgesprochen zu bekommen, wie uns Zuschreibungen und Vorgaben zu Männlichkeit und Weiblichkeit beeinflussen. Sie setzt sich für trans* Rechte und nicht binäre Menschen, die queere Community und Verständnis ein. Phenix ermutigt und sensibilisiert. Denn: Menschen sind verschieden, nichts zu 100 Prozent, wir entwickeln und verändern uns, wachsen. Und dabei wird klar: Diversität ist die wahre Normalität.“ (Thalia)

Ich bin Linus. Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war - Linus Giese

„Eigentlich ahnt er es seit seinem sechsten Lebensjahr. Doch aus Sorge darüber, wie sein Umfeld reagieren könnte und weil ihm Begriffe wie trans, queer, nicht-binär fehlen, verschweigt Linus lange, wer er wirklich ist. Mit dem Satz "Ich bin Linus" beginnt im Sommer 2017 sein neues Leben, das endlich nicht mehr von Scham, sondern Befreiung geprägt ist. Offen erzählt Linus Giese von seiner zweiten Pubertät, euphorischen Gefühlen in der Herrenabteilung, beklemmenden Arztbesuchen, bürokratischen Hürden, Selbstzweifeln, Freundschaft und Solidarität, von der Macht der Sprache und digitaler Gewalt. Seit seinem Coming-Out engagiert sich Linus für die Rechte von trans Menschen. Vor allem im Netz, aber nicht nur dort, begegnet ihm seither immer wieder Hass. Doch Schweigen ist für ihn keine Option.“ (perlentaucher)

Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund - Jayrôme C. Robinet

„Jayrôme hat früher als weiße Französin gelebt. Dann zieht er nach Berlin, beginnt Testosteron zu nehmen und erlebt eine zweite Pubertät. Ihm wächst ein dunkler Bart – und plötzlich wird er auf der Straße auf Arabisch angesprochen. Ob im Café, in der Umkleide oder bei der Passkontrolle, er merkt, dass sich nicht nur seine Identität, sondern vor allem das Verhalten seiner Umwelt ihm gegenüber radikal geändert hat. Er kann vergleichen: Wie werde ich als Mann, wie als Frau behandelt? Und was bedeutet es, wenn sich nicht nur das Geschlecht ändert, sondern augenscheinlich auch Herkunft und Alter? Mitreißend erzählt er von seinem queeren Alltag und deckt auf, wie irrsinnig gesellschaftliche Wahrnehmungen und Zuordnungen oft sind.“ (Thalia)

Außer sich - Sasha Marianna Salzmann

„Sie sind zu zweit, von Anfang an, die Zwillinge Alissa und Anton. In der kleinen Zweizimmerwohnung im Moskau der postsowjetischen Jahre verkrallen sie sich in die Locken des anderen, wenn die Eltern aufeinander losgehen. Später, in der westdeutschen Provinz, streunen sie durch die Flure des Asylheims, stehlen Zigaretten aus den Zimmern fremder Familien. Und noch später, als Alissa schon ihr Mathematikstudium in Berlin geschmissen hat, weil es sie vom Boxtraining abhält, verschwindet Anton spurlos. Irgendwann kommt eine Postkarte aus Istanbul – ohne Text, ohne Absender. In der flirrenden, zerrissenen Stadt am Bosporus und in der eigenen Familiengeschichte macht sich Alissa auf die Suche – nach dem verschollenen Bruder, aber vor allem nach einem Gefühl von Zugehörigkeit jenseits von Vaterland, Muttersprache oder Geschlecht.“ (suhrkamp)

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Die Verfolgung von Homosexualität findet in Uganda schon länger statt. Nun hat das Parlament am 21. März ein Gesetz verabschiedet, bei dem der gesamte Zustand auf ein neues Level der Verachtung gehoben wurde.

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Bereits Mitte März wurde auf echte vielfalt über die Gesetzesdebatte berichtet. Wie menschenverachtend das Ganze war, wurde damals bereits deutlich, wie weit das Parlament dabei bereit war zu gehen, allerdings noch nicht.

Laut einem Bericht der Tageschau sieht UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk in dem Gesetz einen Freibrief, der es ermöglichen könnte, fast alle Menschenrechte von LGBTIQ*-Personen „systematisch“ zu verletzen. Nach einer sechsstündigen Sitzung hatte das Parlament allerdings nicht nur das Gesetz verabschiedet, sondern in der Debatte noch den Zusatz der Todesstrafe für „besonders schwere“ Homosexualität aufgenommen. Was damit genau gemeint ist, blieb offen. Nach Angaben des Tagesspiegels drohten die USA Uganda in Reaktion darauf mit wirtschaftlichen Sanktionen, sollte das Gesetz in Kraft treten.

Damit das geschieht, muss das Gesetz noch von Präsident Yoweri Museveni unterzeichnet werden. Dieser ließ bei einer Rede der Konferenz zu „family values and sovereignty“ am 3. April seine Bereitschaft bereits durchblicken. Museveni bezeichnete Homosexualität als „a big threat and danger to the procreation of human race [sic]“ und forderte die afrikanischen Staatsoberhäupter auf, „die Förderung der Homosexualität“ abzulehnen, so ein Bericht des Guardian. Neben Uganda, das diese Konferenz ausrichtete, hatten noch 22 weitere afrikanische Länder Delirierte gesandt. Darunter auch Sambia, Kenia und Sierra Leone. Die Drohung der USA wurde hingegen ohne expliziten Bezug zu einem Anker, der die menschenverachtende Position des Anti-LGBTIQ*-Gesetzes mit der Befreiung von westlichem Einfluss verbindet. So wurden bspw. Sambia, Tansania und Ghana aufgefordert, sich vom amerikanischen Einfluss zu befreien. Die Länder waren zuvor von US-Vizepräsidentin Kamala Harris besucht worden.

Wie verzerrt diese Forderung allerdings ist, zeigt ein Blick auf die Förderer der Konferenz. Laut Guardian wurde das Ganze nicht nur vom ugandischen Parlament, der afrikanischen Anwaltskammer und der in Nigeria ansässigen Stiftung für das afrikanische Kulturerbe gefördert. Auch die US-amerikanische evangelikale Organisation Family Watch, die vom Southern Poverty Law Center, einer Beobachtungsstelle für die extreme Rechte, als Anti-LGBTIQ*-Hassgruppe eingestuft wird, trat als Förderer sowie Organisator der parallel stattfindenden Online-Veranstaltung auf. Die gesamte online-Teilnahme wurde entsprechend über Family Watch bereitgestellt.

Es stellt sich die Frage, warum Museveni das Gesetz bis jetzt noch nicht unterzeichnet hat. Formale Gründe könnten durchaus eine Rolle spielen, aber vielleicht ging es auch darum, die Konferenz abzuwarten. Das Ganze wirkt vor dem Hintergrund wie ein Testlauf der extrem Rechten, um zu schauen, wie weit ein Staat die Rechte der LGBTIQ*-Gemeinschaft vor den Augen der Welt einschränken bzw. aussetzen kann. Besonders besorgniserregend ist dabei der Einfluss von amerikanischen evangelikalen Fundamentalisten.

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Im September 2022 wurden die LSBTIQ*-Aktivistinnen Zahra Sedighi Hamedani und Elham Choubdar von einem iranischen Gericht zur Todesstrafe verurteilt. Die internationale Gemeinschaft, die sich für die Rechte von queeren Personen einsetzt, verurteilte dies scharf. Nach hohen Kautionszahlungen wurden die Aktivistinnen im März 2023 aus der Haft entlassen.

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Das Gericht hielt Zahra Sedighi Hamedani und Elham Choubdar vor, „Werbung für Homosexualität“ zu betreiben sowie die „Verbreitung der Korruption auf der Erde“. Die Aktivistin und Autorin Shadi Amin erklärt in einem Interview mit der taz, dass dieser vage Strafvorwurf gegen queere Personen genutzt wird, um höhere Strafen anwenden zu können. Zahra Sedighi Hamedani wurde bereits im Jahr 2021 an der Grenze zur Türkei verhaftet. Die Hengaw Organization for Human Rights berichtete, dass ihr der Zugang zu einem Anwalt oder einer Anwältin verwehrt blieb. Hamedani hat sich mehrfach öffentlich für die iranische queere Community eingesetzt. Die harte Strafe sollte auch als Abschreckung für LSBTIQ* Jugendliche dienen, so Amin. Umso wichtiger sei es, dass weiterhin öffentlich über die Situation geredet wird.

Die Situation für die queere Community im Iran ist geprägt von politischer Verfolgung, Repressionen und Stigmatisierung. Gleichgeschlechtliche Beziehungen können somit nur versteckt stattfinden. Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) sind LSBTIQ*-Personen im Iran von hoher Gewalt betroffen. Homosexuelle Frauen könnten zusätzlich zwangsverheiratet werden. So wie im Fall von Hamedani und Choubdar wird in einigen Fällen auch die Todesstrafe verhängt. In der Islamischen Republik wurden bereits tausende queere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität hingerichtet, so queer.de.

Der Queerbeauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann feiert die Entlassung der beiden Aktivistinnen auf Twitter als „eine der schönsten Nachrichten dieser Tage“ und betont, dass die Rechte von LSBTIQ*-Personen Menschenrechte seien. Deshalb sei es wichtig, politischen Druck auf die Islamische Republik auszuüben und die aktuelle Protestbewegung im Iran zu unterstützen. Diese folgte auf den Tod der kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini im September 2022. Sie verstarb nach einer Verhaftung durch die Sittenpolizei, die sie festnahm, weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt getragen hätte. So ist der Kampf von queeren Menschen mit den feministischen Bestrebungen im Land eng verflochten.

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