Echte Vielfalt

Allgemein

Robert Sapolsky ist Forscher im Bereich Neuroendokrinologie. Er ist Professor für Biologie, Neurologie, neurologische Wissenschaften und Neurochirurgie an der Stanford University. Im Interview mit der South Carolina Education Association (SCEA) eröffnet er den Blick auf die wissenschaftlichen Forschungen zur Neurobiologie von transgender Personen.

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Ziel des Interviews laut SCEA ist es, die Rechte von transgender Menschen durch die Schaffung informierter Politiken zu schützen. Sapolsky gibt hierfür einen Einblick in das Kontinuum von Geschlechtlichkeit und Sexualität - von der genetischen bis zur neurobiologischen Ebene - und zeigt dabei deutlich, dass sich der Mensch biologisch seit jeher in diesem Kontinuum bewegt, anstatt in abgesteckten Kategorien. Ein "Kontinuum" bezeichnet einen zusammenhängenden und ununterbrochenen Bereich oder Zustand, in dem es keine klaren Grenzen oder Unterbrechungen gibt.

Neben einem Einblick in die verschiedenen Ebenen thematisiert das Interview auch die Setzung von „Normalität“ und „Erkrankung“ in der wissenschaftlichen und medizinischen Debatte und eröffnet damit die Schnittstelle zum soziokulturellen Kontext und zur Normensetzung durch diskursführende Personen oder Instanzen, und dass sich solche durchaus verändern können.

Sapolsky gelingt es herauszuarbeiten, dass genetische Eigenheiten von Gehirn und restlichem Körper nicht immer übereinstimmen müssen. So machen neurologische Studien deutlich, dass bestimmte Hirnregionen eher einer geschlechtlichen Kategorie entsprechen, obwohl der Rest des Körpers augenscheinlich und nach „Lehrbuch“ dem Gegenteil zugeordnet würde. Für ihn als Neurobiologe ist dabei die Ausrichtung des Gehirns entscheidend. Damit erweitert Sapolsky den Diskurs über das „Sich falsch im eigenen Körper Fühlen“, der immer noch stark aus einer psychologischen Perspektive geführt wird, um eine neurobiologische Perspektive. Gleichzeitig liefert er damit der LGBTIQ*-Gemeinschaft Argumente gegen all jene, die auf politischer und medizinischer Ebene darauf hinweisen, dass sich biologisch nur zwei „Arten“ zurechnen lassen.

Nicht nur soziopsychologisch, sondern auch neurobiologisch und empirisch nachweisbar, entwickeln sich Menschen in verschiedensten Kombinationen. Was aber nicht bedeutet, dass dies – wie andere Marginalisierungen wie Rassismus oder Sexismus – im jeweiligen Kontext nicht dennoch zu psychischen Belastungen führen kann. Für Sapolsky ist es evident, dass Menschen nie außerhalb ihres Kontextes existieren und damit nie unabhängig von ihrem soziokulturellen Umfeld stehen.

Ob eine seltene Kombination zu einer „problematisierten Normabweichung“ führt oder lediglich zu einem kurzen Aufmerken, wie bei einer besonders seltenen Augenfarbe, bleibt damit auch weiterhin eine Frage der gesellschaftlichen Diskurse.

Dieser Überblick ist lediglich ein Einstieg in das Thema und gibt den Inhalt nur verkürzt wieder; für diejenigen, die sich differenziertet damit beschäftigen möchten, steht hier das gesamte Interview zur Verfügung.

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Der „Coming Out Day“ stammt aus den USA und wird seit 1988 jedes Jahr am 11. Oktober begangen. An diesem Tag geht es darum, den Prozess des Coming Outs in den Mittelpunkt zu stellen. Damit ist der Tag ein wichtiger Feiertag für die Sichtbarkeit einer selbstbewussten LGBTIQ*-Gemeinschaft.

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Seinen Ursprung hat der Tag im zweiten nationalen "March on Washington for Lesbian and Gay Rights", der 1987 in Washington D.C. stattfand. Da gesellschaftliche Veränderungen nicht von heute auf morgen geschehen, entstand aus diesem Kontext der Coming Out Day, initiiert von Rob Eichberg und Jean O’Leary. Ein Jahr später, am 11. Oktober 1988, veröffentlichten tausende Homosexuelle ihre Namen in US-amerikanischen Zeitungen, um den ersten offiziellen Coming Out Day zu feiern.

Blickt man über den eigenen Tellerrand hinaus, so bedeutet ein Coming Out ganz allgemein den Mut, einer Welt, die dem eigenen „Selbstbild“ – ob in Bezug auf Sexualität oder irgendeine andere Facette – skeptisch bis diskriminierend gegenüberstehen kann, entgegenzutreten. Auch politische, religiöse und andere Haltungen, die man je nach Region gegenüber dem Mainstream der umgebenden Familie, Peergroup oder Gesellschaft vertreten muss, sind es wert, dass man ihnen gedenkt. Gleichzeitig bedeutet ein Coming Out auch, sich in den Diskurs zu begeben.

Dass dies für einige nicht möglich ist, gehört genauso zum Coming Out wie der Wunsch, sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen. Für all jene, die sich dem nicht stellen können oder wollen, ist es daher besonders wichtig, dass andere sich für ihre Rechte und Würde einsetzen, wo sie es nicht können.

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die anstehenden US-Wahlen im November ist die Entscheidung der National Football League (NFL), anlässlich des internationalen Coming-Out-Tags und zu Ehren Carl Paul Nassibs, 100.000 US-Dollar an das Trevor Project zu spenden, ein positives Zeichen. Wie schwulissimo berichtet, betreut der Verein junge homosexuelle und queere Jugendliche sowie junge Erwachsene. Nassib bekannte sich 2021 als erster aktiver NFL-Spieler öffentlich dazu, homosexuell zu sein. Vor knapp einem Jahr hatten wir bereits über die offene und unterstützende Haltung der NFL gegenüber der LGBTIQ* Gemeinschaft berichtet. Auch heute ist die NFL immer noch ein Multimilliarden-Dollar-Business, und auch heute gilt, dass eine kommerzialisierte Symbolik zur Sichtbarkeit beitragen kann.

Es wird auch künftig immer wieder Coming Outs geben, da immer neue Normen entstehen, die hinterfragt und herausgefordert werden müssen. Umso wichtiger ist es, an einer Gesellschaft zu arbeiten, die sich konsequent für die universelle Menschenwürde einsetzt. Zwar wird dieses Ideal wahrscheinlich nie vollständig erreicht, doch jeder Schritt in diese Richtung zählt und macht einen Unterschied. 

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Vergangene Woche hat der Stadtrat in Neubrandenburg das Hissen der Regenbogenflagge am Bahnhof verboten. Kurz darauf kündigte der Oberbürgermeister Silvio Witt seinen Rücktritt an. Eine Petition fordert das Abschaffen des Verbots.

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Nach einem Antrag von Tim Großmüller (Stabile Bürger für Neubrandenburg) wurde das Verbot der Regenbogenflagge – das Symbol für LGBTIQ* schlechthin – in der mecklenburg-vorpommerischen Stadt Neubrandenburg nach Angaben des Deutschlandfunk mit den Stimmen von Mitgliedern von AfD und BSW sowie örtlichen Wählergemeinschaften beschlossen.

Der Antrag sei mit Straftaten begründet, die dazu führten, dass die Flagge bereits mehrfach gestohlen und mit Nazi-Symbolen ersetzt wurde (NDR). Nach Angaben von Katapult MV äußert sich Großmüller in den Sozialen Medien jedoch schon länger offen queerfeindlich und teilt rechtes Gedankengut.

In dem Antrag wird außerdem gefordert, dass nur Bundes- oder Landesflaggen gehisst werden sollen. Damit reiht er sich ein in die queerfeindliche Programmatik von Brandenburgs AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt. Dieser äußerte im Wahlkampf, dass er als erste Handlung als potentieller Ministerpräsident Regenbogenfahnen verbieten würde (Phoenix).

Silvio Witt, parteiloser Oberbürgermeister von Neubrandenburg kündigte kurz nach dem Verbot an, dass er zum 1. Mai 2025 zurücktreten werde. Witt äußerte sich nicht zu einem möglichen Zusammenhang seines Rücktritts mit den Ereignissen rund um die Regenbogenflagge. Nach Angaben der taz würde jedoch Druck auf ihn ausgeübt, wovon auch sein näheres Umfeld betroffen ist. Er selbst ist schwul und hat sich auf verschiedene Arten für eine vielfältige und offene Stadt eingesetzt. Unter anderem ist er Schirmherr von Christopher-Street-DayVeranstaltungen. So könne die Entscheidung auch aus Selbstschutz geschehen sein, da sich Angriffe und Drohungen auf Politiker*innen leider häufen (Deutschlandfunk).

Die Ereignisse spielten sich jedoch nicht ohne Widerstand ab. Zwischen 200 und 300 Personen protestierten vergangene Woche vor dem Bahnhof – mit Regenbogenflaggen. Außerdem wurde die Petition "Für das Wiederaufhängen der Regenbogenflagge in Neubrandenburg" ins Leben gerufen. Über 9.000 Personen haben diese bereits unterschrieben. Der Initiator Martin Kollhoff betont, dass „die Regenbogenflagge ein wichtiges Symbol für Vielfalt, Toleranz und den Einsatz gegen Diskriminierung“ sei. Ein Hissen der Flagge solle zeigen, dass Neubrandenburg für Vielfalt, Offenheit und Menschenwürde und gegen Diskriminierung einstehe.

Foto: Talpa auf Pixabay

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Nachdem bereits am 17. September das Gesetz für „Familienwerte und den Schutz von Minderjährigen“ vom georgischen Parlament verabschiedet wurde, ist es nun auch faktisch in Kraft getreten. Das Parlament in Georgien hatte das Gesetzespaket gegen die Verbreitung von Homosexualität bereits am 27. Juni auf den Weg gebracht - damals unter großem Protest der Opposition und der EU, von der es erst Ende 2023 als Beitrittskandidat aufgenommen wurde.

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Wie bereits die Gesetze in Russland oder Ungarn zielt auch dieses Gesetz auf ein Verbot einer angeblichen "Propaganda" für gleichgeschlechtliche Beziehungen und LGBTIQ* und soll dabei „Kinder und Familie“ schützen. Bereits vor zwei Wochen hatten wir die Situation in Georgien thematisiert.

Nach einem Abstimmungsboykott durch die Opposition und der Weigerung von Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili, das Gesetz zu unterzeichnen, trat das Gesetz Anfang Oktober mit der Unterzeichnung durch Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili in Kraft.

Surabischwili hatte zwar nicht unterzeichnet, jedoch ebenso kein Veto eingelegt. „Damit musste das Dokument [laut Angaben von Tagesschau und ZDF] nur noch vom Parlamentspräsidenten unterschrieben werden.“ Dieser begründete seine Entscheidung, so die Tagesschau, mit Verweis auf Angaben des Fernsehsenders Rustavi 2, mit den bereits bekannten und kruden Argumenten des Schutzes von „Familien und Kindern“.

Dass die EU den Status Georgiens als Beitrittskandidat zuvor wieder auf Eis gelegt hatte, scheint dabei wirkungslos verklungen zu sein. Damit ist nun auch offiziell der Weg bereitet für eine staatlich legitimierte Diskriminierung der LGBTIQ*-Gemeinschaft in Georgien.

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Am 17. Oktober 2024 eröffnet die Ausstellung „Strategien der Resilienz – Einblicke in das Leben von Eberhardt Brucks“ im Schwulen Museum Berlin. Es werden Objekte aus der Sammlung Eberhardt Brucks sowie künstlerische Arbeiten von Genesis Kahveci, Florian Hetz, Sarnt Utamachote und Rein Vollenga gezeigt.

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Der Grafiker Eberhardt Brucks (1917-2009) ist eine weniger bekannte, jedoch nicht unbedeutende Figur der deutschen Schwulenbewegung. Er zeichnete für die Schweizer Homosexuellen-Zeitschrift „Der Kreis“, zudem sammelte er reichlich Material von und zu der Bewegung seiner Zeit. In seiner Berliner Wohnung entstand eine beindruckende Sammlung, die nun dem Schwulen Museum zur Verfügung steht. Brucks Zeichnungen und Fotos sowie die etlichen gesammelten Briefe, Bücher und Bilder der Zeit geben Einblicke, wie und wo queere Lebensweisen in der Nachkriegszeit ausgelebt wurden.

Als schwuler Mann war Brucks von der politischen Verfolgung der Nationalsozialisten betroffen. Doch auch danach war das Ausleben queerer Lebensweisen nicht einfach: Der in der Nazi-Zeit erhobene Paragraf 175, welcher sexuelle Handlungen zwischen Männern als strafbar definierte, war bis 1994 in Kraft. Dennoch fand Eberhardt Brucks stets Wege, seine Identität auszuleben.

Die Ausstellung möchte einen „besonderen Einblick auf das Leben eines schwulen Mannes [ermöglichen], das in bemerkenswerter Weise von Resilienz geprägt war: der Fähigkeit, schwierige Situationen oder Krisen zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.“ Diese resilienten Fähigkeiten „beinhalten spielerische Herangehensweisen und schützten ihn vor den Systemen, machten ihn handlungsfähig, ermöglichten ihm Partnerschaften, körperliche Selbstermächtigung und Räume der Freude.“

Mit den Arbeiten von vier zeitgenössischen Künstler*innen soll in der Ausstellung die Resilienz Eberhardt Brucks mit gegenwärtigen queeren Positionen verknüpft werden. Die Ausstellung wird kuratiert von neo seefried und läuft vom 18. Oktober 2024 bis zum 28. April 2025. Weitere Informationen auf der Webseite des Schwulen Museums Berlin.

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Seit April 2024 gibt es mit „Bi+ Equal“ ein europaweites, 24-monatiges Projekt, das von Bi+ Nederland und Spectrum (Frankreich) ins Leben gerufen wurde, um die Gleichstellung von Bi+ Personen in Europa zu fördern. Es zielt darauf ab, bestehende Bi+ Initiativen zu kartieren, Kapazitäten aufzubauen und eine europäische Bi+ Rechtspersönlichkeit zu schaffen, die von der Bi+ Gemeinschaft für die Bi+ Gemeinschaft entwickelt wird. Kurz: Am Ende soll eine Dachorganisation entstehen, die Lücken in der Repräsentation und Interessenvertretung von Bi+ Personen auf europäischer Ebene schließt. Doch was ist nun unter „Bi+“ zu verstehen?

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Auf der offiziellen Webseite von Bi+ Equal heißt es dazu: „Bi+ ist ein Oberbegriff für alle Menschen, deren sexuelle Orientierung sich auf Personen mehrerer Geschlechter richtet. Sie können sich als bi+, bisexuell, pansexuell, queer, fluid usw. identifizieren – müssen dies jedoch nicht. Der Begriff Bi+ wird in vielen Gemeinschaften immer geläufiger, da er im Vergleich zu ‚Bisexualität‘ ein weiter gefasster und inklusiverer Begriff ist.“

Wie die europäische Vertretung der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA-Europa) in ihrem Blog schreibt, geht es darum, mehr Sichtbarkeit und Gleichstellung, aber auch Rechte für alle nicht-monosexuellen Menschen zu erreichen. „Die allgegenwärtige monosexuelle Norm – die Annahme, dass Menschen ausschließlich zu einem Geschlecht hingezogen sind – erschwert es Bi+-Personen, sowohl im LGBTI-Kontext als auch in der Gesellschaft insgesamt vollständig anerkannt zu werden.“ Die Folgen sind Ressentiments und Diskriminierungen, auch innerhalb der LGBTIQ*-Gemeinschaft.

In unserem Artikel „Zum Trans Day of Visibility: Philosophische Überlegungen zur Bedeutung von Trans- und Nichtbinär-Sein“ haben wir bereits thematisiert, dass Ressentiments besonders dann schwierig zu überwinden sind, wenn die Themen einen selbst sehr nahegehen. Es ist also sinnvoll, eine neue „Rechtspersönlichkeit“ – wie es heißt – zu gründen, um dieser Marginalisierung und Diskriminierung entgegenzuwirken.

Gleichzeitig steht eine solche Organisation, mehr als andere, vor der schweren Aufgabe, zwischen dem vielfältigen Spektrum der Sexualität als Konzept und dem legitimen Recht jeder*jedes Einzelnen, sich selbst zu definieren und damit abzugrenzen, zu balancieren. In unserem Artikel „Auf der Suche nach der Wahrheit über unsere sexuelle Orientierung“ haben wir die Debatte darüber, dass der Mensch grundsätzlich fähig ist, sich zu allen Geschlechtern hingezogen zu fühlen, bereits angerissen. Wenn Sexualität aber keine Frage des Entweder-Oder, sondern eher ein Spektrum ist, in dem sich Menschen bewusst oder unbewusst, offen oder verdeckt entscheiden, dann gilt das für alle.

Das Durchsetzen rechtlicher Ansprüche und die Sichtbarmachung der Bi+-Belange sind wichtig, ebenso wie die Förderung der Kommunikation über das Spektrum der Sexualität auf europäischer Ebene. Letzteres wird wahrscheinlich verstärkt mit den Selbstbildern der Menschen und damit auch ihren Ressentiments in Kontakt kommen. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Initiative „Bi+ Equal“ diese Herausforderungen angehen wird.

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Die aktuellen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit einem erschreckenden Abschneiden der AfD und die immer schärfer werdende verbale Aufrüstung im Migrationsdiskurs bilden Indikatoren dafür, dass gesamtgesellschaftliche Werte wie beispielsweise Solidarität und allgemeine Menschenwürde immer stärker zwischen die Räder des rechten Populismus geraten.

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Die Ursachen dafür sind vielfältig und sollten keineswegs nur auf einen Nenner gebracht werden. Gleichzeitig wäre es ignorant, nicht zuzugestehen, dass es die sozioökonomischen Lebensumstände einiger Menschen sind, die dazu beitragen, dass sie sich immer stärker radikalisieren. Hierbei geht es nicht darum, dass sich Menschen, denen es ökonomisch schlechter geht, automatisch unsolidarisch verhalten. Sondern um das Verschieben der sozialen Last durch den Populismus auf die Schultern des marginalisierten Individuums. So schreibt bspw. Bundesfinanzminister Christian Lindner auf der Seite seines Ministeriums:

„Zum einen werden die Anforderungen verschärft gegenüber denjenigen, die das Bürgergeld beziehen. Mitwirkungspflichten – wenn man also einen Termin verpasst, dann wird das Bürgergeld um 30 Prozent für drei Monate reduziert. Wer Bürgergeld bezieht, muss sich einmal im Monat bei der Behörde melden. Dadurch soll auch der Kontakt und der Vermittlungserfolg verbessert werden.“

Liest man sich diese Formulierungen durch, könnte man den Eindruck bekommen, man hätte es mit Straftäter*innen zu tun, die ihre Auflagen erfüllen müssten. Diese Formulierung wirkt, denn ihr ideologisches Prinzip wird im Kopf auch auf Asyl und andere Sozialhilfen angewandt. Völlig unabhängig davon, ob Personen selbst solche Hilfen beziehen, wird suggeriert, hilfebedürftige Menschen seien schlecht und vor allem selbst schuld. Dabei wird ignoriert, dass jegliche soziale Hilfe – wenn sie berechtigt ist – eine Maßnahme zur Erfüllung des Grundrechts auf ein würdevolles Leben darstellt.

Aber auch faktisch sprechen die Zahlen eine andere Sprache, wie Franz Segbers, emeritierter Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie an der Philipps-Universität Marburg, im Interview mit der Tagesschau aufzeigt: Zieht man nämlich von den rund 5,5 Millionen Arbeitslosen rund ein Drittel Kinder und Jugendliche ab sowie jene, die nicht arbeiten können, dann kommt man nur noch auf 1,7 Millionen. Davon wiederum begehen nur noch 16.000 Fälle sogenannten „Sozialbetrug“. „Wenn wir das umrechnen, sind das im Monat etwa 1.300 Menschen. Das ist bei 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehern eine marginal kleine Gruppe. Wenn wir diese Quote bei Steuerbetrügern hätten, hätten wir eine traumhafte Quote. Aber darüber wird nicht diskutiert, sondern es wird über diese kleine Gruppe von Totalverweigerern geredet.“

Es ist diese Diskursverschiebung bei gleichzeitiger Stagnation der Reallöhne, die dazu beiträgt, dass in den Köpfen eine Verbindung zwischen dem eigenen „Nicht“-Wohlergehen und marginalisierten Gruppen entstehen kann. Auch hier gilt: Diese Verbindung ist nicht selbstverständlich, aber sie ist auch nicht völlig ausgeschlossen und wird von Populist*innen genutzt.

Vor diesem Hintergrund bieten Zahlen der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt „ein deutliches Warnsignal, die Entwicklungen im gesellschaftlichen Gefüge nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.“ Demnach ist der Index für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt von Beginn 2020 um neun Punkte auf 52 von maximal 100 Punkten im Oktober 2023 gesunken. Zwar liegt er damit immer noch in der oberen Hälfte, wie die Stiftung betont, aber die Luft wird dünner. Laut Bertelsmann Stiftung verzeichnete der Index dabei einen Rückgang in allen neun Sozialindikatoren, darunter auch „Akzeptanz von Diversität“ und „Solidarität und Hilfsbereitschaft“.

War es bis jetzt schon schwierig und ein langfristiges Projekt, für die Würde und die Rechte der LGBTIQ*-Gemeinschaft einzutreten, wird das Fundament immer wackeliger. Hier haben vor allem jene die Verantwortung, die gut vernetzt sind und denen es gut genug geht, sich über die Grenzen der eigenen Gruppe hinweg für mehr Solidarität einzusetzen und sich die Frage zu stellen: Was bedeutet das politische „Nach-unten-Treten“ für mich?

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In Georgien wurde ein umstrittenes Anti-LGBTIQ*-Gesetz verabschiedet. Kurz darauf wurde eine trans Frau in ihrer Wohnung getötet. Die EU übt scharfe Kritik an diesem Gesetz.

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Das Gesetz für „Familienwerte und den Schutz von Minderjährigen“ verbietet gleichgeschlechtliche Ehen, Adoption für nicht-heterosexuelle Paare und Geschlechtsangleichungen. Ähnlich wie in Russland soll die angebliche LGBTIQ*-„Propaganda“ verboten werden, darunter zählen auch Pride-Veranstaltungen und Demonstrationen (Spiegel).

Konkret heißt dies auch, dass es im Bildungssystem, in Büchern, in der Kunst und vielen weiteren Bereichen Einschränkungen geben wird, da die Darstellung von queeren Lebensweisen so gut wie verboten wird. Für Organisationen, die sich für die Rechte queere Personen einsetzen, könnte das Gesetz das Aus bedeuten.

Die Anti-LGBTIQ* Politik wird von der konservativen Regierungspartei „Georgischer Traum“ gefestigt, die seit dem Sommer aufgrund ihrer verstärkten autokratischen Tendenzen mit dem sogenannten „Agentengesetz“ vermehrt in Kritik steht (siehe einen Bericht der KAS). Zudem hat die orthodoxe Kirche starken Einfluss im Land.

Laut Reuters will die Regierung nach eigenen Aussagen „pseudo-liberalen“ ausländischen Werten entgegnen und die georgische Souveränität fördern.  Für die georgische LGBTIQ*-Gemeinschaft bedeuten die neuen Gesetze jedoch, dass das Leben „unerträglich“ werden würde, so der Gründer von Tbilisi Pride Giorgi Tabagari.

Diese Sorge ist nicht unbegründet: Kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes wurde Kesaria Abramidze, eine der ersten georgischen trans Frauen, die öffentlich über ihre Identität sprach, getötet. Aktivist*innen sehen einen Zusammenhang zwischen den queerfeindlichen Gesetzen und der Tat (BBC). Auch bei Pride Veranstaltungen kam es vermehrt zu physischer Gewalt seitens konservativer Gruppen.

Ende 2023 wurde Georgien offiziell der Status eines EU-Beitrittskandidaten verliehen; jedoch wurde das Verfahren zunächst nicht weitergeführt.  Auch nach Verabschiedung des „Agentengesetzes“ gab es scharfe Kritik seitens der Europäischen Union. Nun ruft die EU-Kommission dazu auf, das Gesetz zurückzunehmen. Der Außenbeauftragte Josep Borrell kritisiert das Gesetz als hinderlich für den angestrebten EU-Beitritt (Deutschlandfunk).

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Nach rechtsextremen Protesten u. a. in Bautzen sorgten sich die Veranstalter*innen des Christopher Street Day (CSD) in Frankfurt (Oder)/Słubice um die Sicherheit der kommenden Demonstration und trafen zur Vorbereitung entsprechende Maßnahmen.

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Dies berichtete der Tagesspiegel am 13. September 2024. Dass die rechten Ideologien und ihre Akteur*innen grenzübergreifend agieren, wurde bei „echte vielfalt“ schon des Öfteren am Beispiel Uganda und USA thematisiert. Aber auch bei der vergangenen Europawahl zeigte sich, wenn auch nicht so extrem wie befürchtet, ein realer Zuwachs rechter Parteien.

Vor diesem Hintergrund könnte die hohe Anzahl an rechtsextremen Störversuchen und Gegenprotesten bei den CSDs in ganz Deutschland ein Symptom dieser politischen Stimmungslage sein. Laut dem Magazin queer kam es neben Bautzen in diesem Jahr bereits in Wismar, Halle, Eisenach, Wolfsburg, Dortmund und Erlangen zu Vorfällen. Nach dem Flensburger CSD, bei dem acht große Regenbogenflaggen verbrannt wurden, forderte der Lesben und Schwulenverband SH laut eines NDR-Berichts die Aufnahme des Schutzes sexueller Minderheiten in die schleswig-holsteinische Verfassung.

Vergangenes Wochenende fand nun der CSD 2024 in Elmshorn glücklicherweise ohne größere Vorkommnisse statt. Am 28. September wird der letzte CSD in Schleswig-Holstein für dieses Jahr in Husum stattfinden. Auch hier hoffen wir auf eine Parade ohne extreme Rechte.

Hat sich die Lage dieses Jahr also verschärft? Bedeutet es, dass mehr Menschen rechts denken, oder bedeutet es, dass diejenigen, die sowieso bereits so gedacht haben, offensiver werden?

In jedem Fall sind „existenzverneinende Positionen“ von rechts nicht tolerabel. Gleichzeitig stehen wir vor dem Dilemma, ob und wie mit diesem Teil der Bevölkerung zu reden ist. Denn auch wenn es zu viele Menschen gibt, die in ihrer Position nur noch Aggression und Verachtung zeigen, kann doch davon ausgegangen werden, dass Sozialisation und Erziehung zu menschenverachtenden Positionen nicht dadurch durchbrochen werden, indem man die nächste Generation dieser „Propaganda“ überlässt. Die Frage des „Wie reden“ bezieht sich hier explizit nicht auf den öffentlichen Diskurs in Medien und Foren, sondern auf das zwischenmenschliche pädagogische Gespräch. Aber auch dies wird an dieser Stelle erst einmal offenbleiben.

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Mal wieder sorgt Donald Trump. der republikanische Kandidat im Rennen um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten, für Schlagzeilen mit seinen Falschinformationen über Migrant*innen sowie seine queer- und transfeindlichen Aussagen.

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Am 10. September 2024 fand das erste TV-Duell zwischen Trump und der demokratischen Kandidatin und amtierenden Vize-Präsidentin Kamala Harris statt. Während inhaltlich wenig über LGBTIQ*-Rechte gesprochen wurde, griff Trump seine Gegnerin mehrfach mit bizarren Vorwürfen an, darunter dass Harris eine Marxistin und Linksradikale sei (Tagesschau). Dabei gilt sie für das linkere Lager der demokratischen Partei eher als konservativ (für eine Einordnung ihrer Positionen siehe auch einen früheren Artikel von echte-vielfalt).

Für großen Aufruhr sorgte Trumps Kommentar, dass Harris „transgender operations on illegal aliens in prison“ befürworten würde. Die amtierende Vize-Präsidentin würde angeblich dafür sorgen, dass Steuergelder für geschlechtsangleichende Operationen von illegalen Migrant*innen im Gefängnis ausgegeben würden. Mit Memes reagierte die LGBTIQ*-Community belustigt auf Trumps Aussage. Doch woher kommt diese Information? Das Magazin them berichtet, dass Kamala Harris in einer Umfrage, die aus dem Jahr 2019 stammt, zustimmte, dass trans Personen der Zugang zu transspezifischer medizinischer Versorgung gewährt werden müsse, auch wenn sie inhaftiert sind oder keinen Aufenthaltsstatus haben.

Während eine umfassende Sicherstellung der medizinischen Versorgung von trans Personen in unterschiedlichen Lebenslagen einen enormen Schritt für die LGBTIQ*-Gemeinschaft in den USA darstellen würde, gibt es keinerlei Anhaltspunkte in Harris Wahlkampfkampagne, die auf eine tatsächliche Umsetzung dieses Vorhabens hinweisen. Im Gegenteil: LGBTIQ*-Rechte kommen in ihrem Programm nur wenig vor.

Im TV-Duell behauptete der Republikaner Trump außerdem, dass geschlechtsangleichende Operationen an Jugendlichen in Schulen ohne die Erlaubnis der Eltern durchgeführt würden. Abgesehen von der Absurdität der Idee, dass Schulen Operationen an Minderjährigen durchführen würden, wurde in den letzten Jahren in vielen US-amerikanischen Staaten der Zugang zu transspezifischer und genderaffirmierender Medizin, insbesondere für Jugendliche, immer weiter eingeschränkt.

Brandon Wolf, ein Sprecher der Menschenrechtsorganisation Human Rights Campaign, äußerte sich gegenüber The Advocate bereits Anfang September besorgt über Trumps Rhetorik, die „echte Konsequenzen“ hätte, da sie Diskriminierung, Mobbing und Gewalt gegenüber LGBTIQ* Personen fördere. Wolf fordert dazu auf, bei der Präsidentschaftswahl im November gegen Trump zu stimmen und eine*n Kandidat*in zu wählen, der oder die „daran glaubt, dass wir alle Respekt und Würde verdienen.“ Denn klar ist, dass LGBTIQ* Personen unter einer erneuten Präsidentschaft von Trump massiv leiden würden.

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