Echte Vielfalt

Familie

Am 13. Juni soll in einer Münchner Stadtbibliothek eine Lesung für Kinder stattfinden - mit der jungen trans* Autorin Julana Gleisenberg sowie einer Drag Queen und einem Drag King. Dies löste eine hitzige Debatte in der bayrischen Politik aus. Während CSU und rechte Parteien vor einer ‚woken‘ Frühsexualisierung warnen, halten die Befürworter*innen der Lesung daran fest, dass Empathie mit queeren Menschen nicht früh genug gelernt werden kann.

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Die Veranstaltung sorgte bereits für viel Aufruhr, obwohl sie noch nicht stattgefunden hat. Insbesondere Mitglieder der CSU, aber auch der AfD, der Freien Wähler und der SPD lehnen das Format ab, da sie darin eine Frühsexualisierung von Kindern sehen. Die Drag-Lesung, die für Familien mit Kindern ab vier Jahren konzipiert ist, wird auf der Webseite der Stadtbibliothek München folgendermaßen beworben:

„Drag Queen Vicky Voyage mit Drag King Eric BigClit und die trans* Jungautorin Julana Gleisenberg nehmen euch mit in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten!“

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) in Bayern thematisiert in einer Pressemitteilung die Diffamierungs- und Falschinformationskampagne, die um die Lesung stattfindet. Größter Aufhänger der Kritik war unter anderem der Name des Dragkings Eric „BigClit“, der für eine Veranstaltung mit Kindern ab vier Jahren unpassend sei. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) spricht auf Twitter sogar von Kindeswohlgefährdung.

Doch hat die Lesung selbst keine sexuellen Inhalte und die Stadtbibliothek betont, dass das Programm altersgerecht gestaltet sei. Unter dem Motto „Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ soll es vorrangig um Verkleidung und Rollenwechsel gehen. Gleichzeitig sollen Kinder dadurch die Diversität in der Gesellschaft kennenlernen. Zudem könnten Eltern selbst entscheiden, ob sie mit ihren Kindern die Veranstaltung besuchen.

Dennoch fordert die CSU ein Verbot der Lesung. SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter, der sich selbst negativ zur Veranstaltung äußerte, lehnte jedoch ein solches Verbot ab. Die teils queerfeindlichen Reaktionen der Christlich-Sozialen Union sowie Mitgliedern von AfD, Freien Wählern und SPD werden vom LSVD scharf kritisiert. Erneut werde durch die Debatte die Anti-LSBTIQ*-Rhetorik der CSU deutlich. Bereits wegen vergangener Äußerungen wurde die Partei vom diesjährigen CSD in München ausgeschlossen.

Als Reaktion auf die Äußerungen der CSU trat Linken-Politiker Thomas Lechner am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit als Drag Queen in den Münchner Stadtrat auf. Damit wolle er beweisen, „dass Inhalte wichtiger sind als das Äußere“ (zitiert im Merkur).

Das Format von Drag-Lesungen für Kinder stammt aus den USA. Noch mehr als in Deutschland sind diese dort Angriffsfläche rechter und konservativer Politiker*innen. In mehreren Bundesstaaten werden Drag-Verbote erlassen oder gefordert. Auch von Neonazis werden solche Lesungen attackiert, wie im Bundestaat Ohio im März dieses Jahres (queer.de berichtete).

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Die Debatte um die Umschiffung des Begriffs „Mutter“, die die Tagesschau mit ihrem Artikel zum „Sonderurlaub nach Geburt des Kindes“ losgetreten hatte, war in der breiten Öffentlichkeit so schnell wieder vorbei, wie sie gekommen war.

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Einen guten Überblick über die Ereignisse liefert die Rheinische Post. In der Debatte ging es um einen Artikel (bereits korrigierte Version) der Tagesschau, die über einen Gesetzesentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) berichtet hatte. Der Gesetzesentwurf sieht vor, nicht nur Müttern, sondern auch deren Partner*innen zwei Wochen Sonderurlaub nach der Geburt zu ermöglichen. Allerdings hatte die Tagesschau statt „Mutter“ den Begriff „entbindende Person“ verwendet. Eine Formulierung, die der Bild sauer aufstieß, und die daraufhin wissen wollte, wieso? Die Antwort der Tagesschau: sie wolle möglichst niemanden diskriminieren. Für die Bild macht dieser missglückte Versuch aus der Tagesschau „die selbst ernannte Sprachpolizei“, die den Begriff Mutter „verbieten“ wolle. Dabei liegt das Problem vor allem in der Wortwahl.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass Geschlecht (eine Fortpflanzungskategorie), Gender (eine gesellschaftliche Rolle) und Geschlechtsidentität (ein inneres Selbstverständnis) keine Synonyme darstellen. In einer offenen Kommunikation wird es daher notwendig abzuwägen, ob und wann das Geschlecht eine relevante Rolle spielt und wann seine Vermeidung angebracht ist. Dies erleichtert die Vermeidung von Geschlechtsstereotypen und stellt gleichzeitig sicher, dass geschlechtsspezifische Bedürfnisse und Probleme nicht übersehen werden. Das gilt besonders für Institutionen wie die Tagesschau. Aus diesem Grund ist kritisches Hinterfragen der Tagesschau durchaus legitim. Aber wo genau liegt nun das Problem?

Der nachfolgende Problemaufriss orientiert sich an einem Artikel von Frontiers in Global Women's Health. Die vollständige Quelle befindet sich unterhalb dieses Artikels.

Die Entsexualisierung von Sprache in Bezug auf die weibliche Fortpflanzung hat zunächst das legitime Ziel, zugewandt und integrativ zu sein. Doch diese Zugewandtheit kann unbeabsichtigte Folgen haben. Zuallererst stehen wir vor dem Dilemma, dass jeder Versuch der Inklusion einer Gruppe gleichzeitig die Gefahr einer allgemeinen Verringerung von Inklusion beinhalten kann. So birgt eine Veränderung von alltäglichen Begriffen das Potenzial, dass junge Menschen, Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen oder geringer Bildung, Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Menschen, die nicht in ihrer Muttersprache angesprochen werden, Gefahr laufen, geschlechtsunspezifische Sprache misszuverstehen. Daneben sind medizinische Begriffe auch für Personen mit hohem Bildungsstand und der passenden Muttersprache nicht automatisch verständlich. Die Folgen sind Missverständnisse und Ungenauigkeiten, die wiederum zu Angst, aber auch zur Mangelversorgung führen können, wenn Menschen nicht verstehen, welche Hilfe und Rechte sie betreffen und welche nicht.

Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Problem der neutralen Sprache insbesondere in Bezug auf Mütter und Geburt ist, dass sich die alternativen Bezeichnungen für „Frauen“ und „Mütter“ auf Körperteile oder physiologische Prozesse beziehen und damit diese Individuen auf ihre biomechanischen Funktionen reduzieren. Dabei geht es nicht um die Frage einer Beleidigung, sondern gerade im Kontext von Schwangerschaft und Geburt und der Stellung der Frau gegenüber dem Mann ist Gewalt in dieser Lebensphase ein nicht zu ignorierendes Phänomen. Eine verbale Entmenschlichung könnte hierbei zu physischen Folgen führen.

Darüber hinaus birgt die Vermeidung des Begriffs „Mutter“ in seiner geschlechtsspezifischen Bedeutung die Gefahr, dass die Anerkennung und das Recht auf Schutz der Mutter-Kind-Beziehung geschmälert werden. Gerade für Säuglinge haben Mütter eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Diese ist umso essenzieller, wenn durch Katastrophen, Armut oder eine Frühgeburt, aber auch häusliche Gewalt etc. der Schutz besonders hohe Bedeutung erhält. Sprachliche Veränderungen haben hingegen das Potenzial, in dem Prozess die Anerkennung dessen zu untergraben, was Mütter für alle Säuglinge bedeuten.

Obwohl also die Kritik gegenüber der Tagesschau legitim ist, hat es die Bildzeitung mit ihrer populistischen Wortwahl geschafft, alle Seiten in eine verhärtete Abwehrhaltung zu drängen. Die Debatte um Sprache funktioniert aber nur, wenn es gelingt, ein Verständnis für Bedenken zu entwickeln. Ansonsten bleibt das Ganze eine Schlacht der Gefühligkeit, unter der am Schluss häufig diejenigen leiden, die ihre Bedürfnisse am schlechtesten artikulieren können. Diese Verantwortung tragen dabei vor allem diejenigen Personen und Institutionen mit der größten Reichweite. Das gilt sowohl für die großen Medienhäuser als auch für die verschiedenen (LSBTIQ*)-Institutionen und Vereine auf allen Seiten.

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  Quelle: Front Glob Womens Health. 2022; Effective Communication About Pregnancy, Birth, Lactation, Breastfeeding and Newborn Care: The Importance of Sexed Language. (3: 818856.) Published online 2022 Feb 7. doi: 10.3389/fgwh.2022.818856

Für homosexuelle Paare gibt es neben der Aufnahme von Pflegekindern, Adoption oder Co-Elternschaft noch einen weiteren Weg ihren Kinderwunsch zu erfüllen: Leihmutterschaft. Da die Praxis in Deutschland verboten ist, beauftragen einige Paare eine Leihmutter im Ausland, die ihr Kind austragen und gebären soll. Doch wie läuft dieser hoch umstrittene Vorgang ab, was sind rechtliche Fragen und wobei gibt es Bedenken?

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Was ist Leihmutterschaft?

In traditionellen Formen der Leihmutterschaft wurde die Leihmutter mit dem Samen des vorgesehen Vaters (künstlich) befruchtet, sie selbst war die biologische Mutter des ausgetragenen Kindes. Mit dem Fortschreiten von Reproduktionstechnologien wie der In-vitro-Fertilisation ist nun eine andere Art von Leihmutterschaft zur Norm geworden. Bei schwulen Paaren kann zum Beispiel der Samen von einem der Männer verwendet werden und „in-vitro“ die Eizelle einer Spenderin befruchten. Das daraus entstandene Embryo wird dann von einer Leihmutter ausgetragen, die genetisch nicht mit dem Kind verwandt ist. Es gibt Leihmütter, die aus altruistischen Gründen das Kind eines anderen Paares austragen, jedoch gibt es auch Formen, in denen sie dafür entlohnt werden.

Wie ist die Rechtslage?

Kommerzielle Leihmutterschaft ist fast überall auf der Welt verboten. Zu den Ausnahmen zählen aktuell unter anderem Israel, einige Bundestaaten in den USA, die Ukraine, Georgien und Mexiko. Da weiterhin viele Paare den Wunsch nach einem leiblichen Kind haben, hat sich eine Art „Reproduktionstourismus“ entwickelt. Vor einigen Jahren waren unter anderem Thailand und Indien „Leihmutterschafts-Hotspots“, in denen internationale Paare eine Leihmutter beauftragt haben. Dort gab es nicht nur wenig rechtliche Einschränkungen, sondern die Kosten waren auch deutlich günstiger.

In Deutschland ist sowohl die kommerzielle als auch die altruistische Leihmutterschaft verboten. Jedoch können Eltern rechtlich als solche anerkannt werden, wenn ihr Kind über eine Leihmutter im Ausland geboren wurde unter der Bedingung, dass mindestens ein Elternteil genetisch mit dem Kind verwandt ist. Für queere Paare könnte der Anerkennungsprozess jedoch noch schwieriger sein. Außerdem wird in einigen Ländern die Möglichkeit, eine Leihmutter zu beauftragen, nur auf heterosexuelle Paaren beschränkt.

Was sind die Bedenken?

Oft beinhalten Leihmutterschaftsverträge strikte Vorgaben, die das Verhalten der Leihmutter während der Schwangerschaft bestimmen sollen. Vor allem in Ländern des Globalen Südens werden die Leihmütter oft in sehr prekären Verhältnissen angestellt. Es ist nicht unüblich, dass sie von ihren eigenen Familien entfernt in vorhergesehen Unterkünften untergebracht werden. Dadurch können die Kliniken, die die Leihmutterschaft organisieren, die Schwangeren besser überwachen. Auch Gentests können eingesetzt werden, womit die Kliniken den Eltern versichern wollen, dass das Kind gesund auf die Welt kommt. Kritische Stimmen beklagen, dass Babys somit zur Ware werden und die Autonomie der Leihmütter eingeschränkt wird.

Auch birgt das Austragen eines Kindes im Ausland weitere Risiken. Zum Beispiel kann in Krisenfällen nicht versichert werden, dass das Kind über Landesgrenzen hinweg bei den Wunscheltern ankommt. Dies wurde zuletzt mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sichtbar.

Was sind die Aussichten?

Leihmutterschaft bleibt eine Möglichkeit für unfruchtbare und queere Paare, ihren Wunsch nach einem leiblichen Kind zu erfüllen. Jedoch ist der Prozess teuer und mit rechtlichem Aufwand verbunden und demnach für nur wenige Menschen zugänglich. Auch moralische und ethische Fragen begleiten das Vorgehen weiterhin. Gleichzeitig bleibt es für nicht heterosexuelle Familienmodelle wichtig, dass alternative Formen von Elternschaft möglich sind. Solange heterosexuelle Paare eine Leihmutter beauftragen können, sollten homosexuelle Paare ebenfalls die Möglichkeit dazu haben. Zuletzt genehmigte Israel auch queeren Eltern die Möglichkeit einer Leihmutterschaft, wie echte vielfalt Anfang 2022 berichtete.  

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Dass Geschichten unsere Sicht auf die Welt prägen, ist keine neue Erkenntnis. Dass Geschichten dabei auch schädlichen Einfluss auf unser Leben haben können, sollte auch nicht infrage stehen. Auf der anderen Seite können Geschichten aber auch das Fundament bilden, die Welt mit neuen Augen zu betrachten und festgefahrene Normen zu hinterfragen. Worauf es dabei ankommt, ist allerdings nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch die Frage, wie das soziale Umfeld und die Bezugspersonen diese Geschichte behandeln.

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Nach einem Bericht des Magazin Legal Tribune Online (LTO) hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bestätigt, dass es sich bei Märchen, in denen homosexuelle Paare vorkommen, ausdrücklich nicht um Kinder gefährdende Literatur handelt. Geklagt hatte die litauischen Autorin Neringa Dangvydė Macatė, nachdem ihr Kinderbuch mit Märchen von der Aufsichtsbehörde für journalistische Ethik als nicht vereinbar mit dem Gesetz zum Schutz Minderjähriger vor „negativen Auswirkungen aufgrund öffentlicher Informationen“ bezeichnet wurde. Versuche der Autorin, dies vor litauischen Gerichten zu klären, waren zuvor ohne Erfolg geblieben. Beschwert hatten sich Mitglieder des litauischen Parlamentes und einige Familienverbände. Die verlegende Universität für Erziehungswissenschaften hatte daraufhin den Vertrieb zunächst gestoppt und später nur mit einem Warnhinweis wieder aufgenommen.

Laut LTO beschneide das Publikationsverbot ebenso wie die Warnhinweise das Recht auf Meinungsfreiheit nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und sei unvereinbar „mit den Begriffen Gleichheit, Pluralismus und Toleranz einer demokratischen Gesellschaft“. Genau diese „demokratische Gesellschaft“ ist aber das Selbstverständnis der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Der Gerichtshof betonte, dass es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gebe, dass die Erwähnung von Homosexualität Kindern schaden würde. Wie das Magazin schwulissimo in diesem Zusammenhang hervorhebt, gehe es lauf EGMR nicht darum, heterosexuelle Paare zu beleidigen, sondern um mehr Respekt innerhalb der Gesellschaft.

Bereits in einem früheren Artikel haben wir darauf hingewiesen, dass Geschichten nicht nur durch Bücher und Filme vermittelt werden, sondern auch Werbung Geschichten erzählt. Gerade in Bezug auf Kinder ist es wichtig, dass diese Geschichten begleitet werden, um sie nicht möglichen Ideologien auszusetzen. So kann auch aus solchen Geschichten gelernt werden, die problematisch erscheinen. Genau das ist im vorliegenden Fall geschehen. Es war nicht das Märchenbuch, das hier einer kritischen Einordnung bedurfte, sondern die Erzählung, die in den Köpfen einiger Mitglieder des litauischen Parlaments und bestimmter Verbände existierte. Dem EGMR oblag die Aufgabe, „die Gesetzgebungsgeschichte der entsprechenden litauischen Regelung“ - mit Verweis auf die Meinungsfreiheit und Grundbegriffe einer demokratischen Gemeinschaft - kritisch einzuordnen.

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Am 13. Dezember 2022 unterzeichnete der amerikanische Präsident Joe Biden das Gesetz zum Schutz der gleichgeschlechtlichen Ehe. Damit zieht er einen vorläufigen Schlussstrich in einer langjährigen Rechtsdebatte.

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Nach einem Zitat des Guardian betonte Biden in seiner Rede vor der Unterzeichnung, wie lange es gedauert habe und wie wichtig das Durchhaltevermögen derer gewesen sei, die immer an ein entsprechendes Gesetz geglaubt haben. Wie lang das wirklich war, macht eine Studie des Meinungsforschungsinstitutes GALLUP deutlich. Demnach lag noch 2004 die Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe bei 42 %. Im Jahr 2022, also 18 Jahre später, stieg die Zustimmung auf 71 %. Die Studie zeigt zum Beispiel auch, dass der Anteil der Befragten, die wöchentlich die Kirche besuchen, besonders wenig Zustimmung aufwies (2004: 20 %). Im Jahr 2022 hat sich allerdings auch in dieser Gruppe die Zustimmung auf 40 % verdoppelt. Es lässt sich somit festhalten, dass die Haltung in den USA in diesem Bereich einen durchweg positiven Wandel durchlaufen hat.

Wie wir allerdings bereits in unserem Artikel zur Verabschiedung des Gesetzes im Senat angemerkt hatten, ist mit dessen Eintreten zwar ein Ergebnis, aber noch kein Ende des Diskurses erreicht. Laut Forbes ist mit Gegenklagen zu rechnen, die in einem momentan sehr konservativen „Supreme Court“ durchaus Gehör finden könnten.

In älteren Urteilen hatte sich der Oberste Gerichtshof der USA allerdings bereits unterstützend den Rechten einer nicht gleichgeschlechtlichen Ehe gegenüber verhalten. Auf der Webseite des US-Kongresses wird in einer Stellungnahme zum Gleichstellungsgesetz deshalb immer wieder auf entsprechende Urteile verwiesen. Zweck des Gesetzes ist es letztendlich, das Bundesrecht dahingehend anzupassen, dass jeder Wortlaut der Ehe als Vorgang zwischen „Mann und Frau“ durch „zwischen zwei Personen“ ersetzt wird. Ein entsprechendes Urteil des Supreme Court gab es bereits 2013. Weiter werden alle Klauseln, die nicht zwingend verlangen, gleichgeschlechtliche Ehen anzuerkennen, durch die Pflicht zur vollumfänglichen Anerkennung der Ehen und der daraus resultierenden Rechtsansprüche ersetzt.

Auch hier hatte der Supreme Court bereits 2015 auf die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen hingewiesen, die gleichgeschlechtliche Ehen verbieten. Mit dem jetzt unterzeichneten Gesetz haben nun nicht nur die Betroffenen, sondern auch das Justizministerium die Möglichkeit, bei Verstößen Klage einzureichen.

Einschränkungen in der Reichweite bestehen hingegen in Bezug auf die religiöse Freiheit und den Gewissensschutz und damit verbundene Dienstleistungen. Damit ist keine Institution dazu verpflichtet, eine Ehe zu vollziehen. Ebenso betrifft das Gesetz keine Vorteile oder Rechte, die sich nicht aus einer Ehe ergeben. Wie sich das ganze weiterentwickelt, muss nun die Praxis zeigen.

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Voraussichtlich im März 2023 werden in Berlin zwei Kitas eröffnet, die sich die Vielfalt der LSBTI* Gemeinschaft als offenen Themenschwerpunkt gesetzt haben. Ziel soll es sein, mit den Kindern einen Alltag zu gestalten, in dem das Thema LSBTI* als selbstverständlicher Teil des Zusammenlebens begriffen wird.

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Wie der Träger Schwulenberatung Berlin gGmbH auf seiner Webseite mitteilt, „[…] sollen [die Kinder] gemeinsam spielen, essen und mit Respekt für Mensch und Natur aufwachsen. Darüber hinaus möchten wir, dass die Kinder andere Lebensweisen und -welten kennenlernen.“

Die Begriffe „andere Lebensweisen und -welten“ erinnern dabei an das bereits existierende und relativ gängige Konzept der interkulturellen Kita. Das interkulturelle Konzept ist dabei kein neuer Gedanke, zielt aber ausschließlich auf das Zusammenleben mit und zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten. Im Interviewe mit dem Magazin L-Mag bestätigt Jörg Duden, Abteilungsleiter und Entwickler des Kita-Konzepts: „Wir haben das Rad nicht neu erfunden“. Bei der Umsetzung gehe es entsprechend weniger um ein ständiges Thematisieren durch geplante Aktivitäten als vielmehr darum, ein Team von Erzieher*innen einzustellen, die selbst als LSBTI* leben und darauf zu achten, Spielmaterialien zu Verfügung zu stellen, die einen weiteren Blick erlauben. Welche fundamentale weitreichende Bedeutung die Ausgestaltung und Diversifizierung von Material hat, haben wir bereits in unserem Artikel zum Thema Kinderbücher beschreiben.

Mit ihrem Konzept verschiebt die Kita damit den Fokus des „Interkulturellen“ und verdeutlicht die z. T. verengende Sichtweise, die dadurch entsteht, dass „Kultur“ in diesem Kontext häufig als „international“, aber selten als „innernational“ begriffen wird. Dabei betont das interkulturelle Konzept explizit, „dass auch deutsche Kinder Adressaten solch eines Ansatzes sind“. Übersetzt auf das Selbstverständnis der beiden Kitas heißt das, auch Kinder aus Familien, die keinen Bezug zu LSBTI* haben, sind Adressat*innen. Laut Träger ist die Kita offen für alle, solange sie damit einverstanden sind, „[…] dass neben allen anderen pädagogischen Maßnahmen auch die Lebenswelten von LSBTI* sichtbar und ansprechbar sein werden“.

Die Kinder sollen erleben, dass es „mehr als nur die Heterowelt gibt“, damit es ihnen später leichter falle, Menschen aus der LSBTI* Community zu begegnen oder - falls sie sich selbst so begreifen - dies für sie zu einem geringeren Problem werde, so Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung.

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In ihrer Pressemitteilung vom 07. Dezember 2022 teilte die Europäische Kommission mit, dass sie einen neuen Vorschlag für das sogenannte Gleichstellungspaket angenommen habe. In der neuen Verordnung gehe es darum, die Vorschriften des internationalen Privatrechts in Bezug auf die Elternschaft auf EU-Ebene zu harmonisieren.

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„Einer der wichtigsten Aspekte des Vorschlags besteht darin, dass die in einem EU-Mitgliedstaat begründete Elternschaft ohne spezielles Verfahren in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden sollte,“ so die Kommission.

Bis jetzt sieht das Unionsrecht nach Auslegung des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) vor, dass EU-Staaten aufgrund des Rechtes zur Freizügigkeit eine Elternschaft aus einem anderen Mitgliedsstaat anzuerkennen haben – allerdings ist eine gleichgeschlechtliche Partner*innenschaft nicht überall anerkannt was für Familien zu Problemen führen kann.

Im entsprechenden Fall hatte ein in Spanien lebendes lesbisches Ehepaar mit britischer und bulgarischer Staatsangehörigkeit geklagt. Bei der Geburt ihrer Tochter hatte die spanische Behörde eine Geburtsurkunde mit doppelter Mutterschaft ausgestellt. Nach einer Zusammenfassung der Tagesschau weigerte sich daraufhin die Stadt Sofia (Bulgarien), dem Mädchen einen Reisepass auszustellen. Zur Begründung hieß es: Die „öffentliche Ordnung“ lasse ausschließlich Geburtsurkunden von Mutter und Vater zu. Zudem sei nicht erkennbar, welches die leibliche Mutter sei. Laut EUGH sei dies jedoch nicht relevant. Spanien habe bestätigt, dass es sich bei beiden Frauen um die Mütter handele. Dies müsse auch Bulgarien anerkennen. Unabhängig von der leiblichen Elternschaft ergebe sich bereits aus der rechtlichen Elternschaft ein Anspruch auf die entsprechende Staatsangehörigkeit. Bulgarien sei zur Ausstellung eines Reisepasses verpflichtet.

Wie die Kommission in ihrer Pressemitteilung jedoch einschränkend anmerkt, gelte dieses Urteil nicht für die Ansprüche, die sich aus einer Elternschaft im nationalen Recht ergeben. Diese würden weiterhin beim jeweiligen Staat verbleiben und müssten in jedem Fall einzeln und zumeist mit hohem zeitlichen und finanziellen Aufwand eingeklagt werden. Damit findet zusätzlich eine Diskriminierung statt. Der neue Vorschlag soll diese Lücke füllen, indem er Rechtssicherheit für Familien und Entlastung bei den Prozesskosten sowohl für die Familien selbst als auch für die Verwaltungs- und Justizsysteme der Mitgliedstaaten vorsieht.

So positiv dieser neue Vorschlag auch klingt, so harsch ist die an ihm geübte Kritik. Nach einer Stellungnahme der europäischen LGBTI*-Bürgerrechtsorganisation Forbidden Colours ändere dieser Vorschlag nichts an dem eigentlichen Problem, dass der Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und/oder sexueller Ausrichtung weiterhin bei den Mitgliedstaaten verbleibe. Es fehle nicht am Recht, so die NGO, sondern an dessen Umsetzung.

„Mitgliedstaaten wie Bulgarien und Rumänien ignorieren Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs zur gegenseitigen Anerkennung der Elternschaft. Die Europäische Kommission ist nicht bereit, diese Urteile gegenüber ihren Mitgliedstaaten durchzusetzen. Das nennen wir in der Rechtswissenschaft: Pflichtvergessenheit“, so der konkrete Vorwurf von Forbidden Colours.

Wie das Magazin schwullissimo in Bezug auf die Stellungnahme von Forbidden Colours ergänzt, seien seit 14 Jahren bereits vier Kommissare an einer wirkmächtigen Rechtsumsetzung gescheiter.

Einmal mehr wird damit deutlich, dass Rechte immer Teil ihrer jeweiligen Gesellschaft und ihrer Akteure bleiben, die damit die mühevolle, aber notwendige Aufgabe haben, diese für sich selbst, aber auch für Dritte zu hinterfragen und ständig aufs Neue einzufordern.

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Geschichten werden überall erzählt und teilweise nicht immer bewusst wahrgenommen. Gerade in der heutigen Werbegesellschaft sind wir ständig mit Geschichten konfrontiert, die uns an unserem Denken vorbei ein Gefühl vermitteln sollen. Je häufiger uns dabei auf Plakaten und in Clips heteronormative Familien begegnen, desto eher fangen wir an, diese „Norm“ zu akzeptieren. Dasselbe gilt für Kinderbücher.

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Die Geschichten unserer Kindheit erzählen uns ein Ideal, eine Welt, wie sie sein sollte. Sie können damit ein Fundament für ein Gesellschafts- und Familienbild schaffen oder eben eine Gegenperspektive bieten, die es uns ermöglicht zu vergleichen, zu hinterfragen und unseren Blick zu erweitern. Dies gilt im Besonderen für solche Kinder, die in ihrer eigenen Familie wenig Bezugspunkte zu einem Thema haben.

Aus diesem Grund sind die folgenden Empfehlungen nicht nur an Eltern gerichtet, die ihren Kindern ein Bewusstsein für Vielfalt vermitteln wollen, sondern explizite auch an Kitas und Schulen, die als Multiplikator*innen fungieren.

Flocke findet seine bunte Familie (ab 3 Jahren)

„In einer alten Windmühle am Waldesrand leben die beiden Füchsinnen Vesta und Kubaba gemeinsam mit ihren Freund*innen ein zufriedenes Leben. Alles, was dem Füchsinnen-Paar zum Glück noch fehlt, ist ein Baby. Als eines Nachts im Winter ein kleiner Schneeball vor der Tür des behaglichen Heimes liegt, wird das Leben der beiden Fuchsdamen gehörig auf den Kopf gestellt.“ (Buchfink Verlag)

Der Katze ist es ganz egal (ab 9 Jahren)

„Leo hat einen schönen neuen Namen: Jennifer. Woher sie ihren echten Namen kennt, weiß Jennifer selbst nicht. Aber sie ist sehr froh, eines Tages endlich mit ihm aufgewacht zu sein. Wie mit etwas, mit dem man besser atmen kann. Nur die Erwachsenen kapieren es erst mal nicht. Die glauben tatsächlich immer noch, sie wäre Leo, ein Bub. So ein Unsinn, finden der dicke Gabriel, Anne und Stella. Als weltbeste Freunde und treue Begleiterinnen beim Kaugummikauen, Schuleschwänzen, Kleiderprobieren und Sichselbstfinden sehen sie das Ganze nämlich genau wie die Katze. Die ist weder froh noch traurig über Leos neuen Namen. Er ist ihr ganz egal.“ (fembooks)

Regenbogentage (ab 10 Jahren)

„[…] nach den Sommerferien ist alles anders. Plötzlich muss man sich entscheiden: Gehört man zu den Mädchendiesichverlieben, die Latte Macchiato trinken und shoppen gehen, oder zu den MädchendiesichNICHTverlieben, die Schlabber-T-Shirts tragen und allen Mädchenkram peinlich finden? [Ihre Freundin] Linnéa steht auf der einen [und ihre Freundin] Bao auf der anderen Seite und Tuva irgendwo dazwischen. Und dann verliebt sie sich tatsächlich- in Mariam, die Neue aus der Parallelklasse.“ (fembooks)

Die Mitte der Welt (ab 14 Jahren)

„Was immer ein normales Leben auch sein mag - der 17-jährige Phil hat es nie kennengelernt. Denn so ungewöhnlich wie das alte Haus ist, in dem er lebt, so ungewöhnlich sind auch die Menschen, die dort ein- und ausgehen - seine chaotische Mutter Glass, seine verschlossene Zwillingsschwester Dianne und all die anderen. Und dann ist da noch Nicholas, der Unerreichbare, in den Phil sich unsterblich verliebt hat. Phil sehnt sich nach Orientierung und Perspektiven. Aber vor allem danach, mehr über sich selbst zu erfahren.“ (fembooks)

Natürlich gibt es noch viel mehr Geschichten für Kinder und auch für Jugendliche, die in der einen oder anderen Weise LSBTIQ* berühren. Schaut man allerdings genau hin, zeigen die Beispiele typische Handlungsstränge: Familienweihnacht und ein Baby mit Hindernissen. Der Eintritt in die Pubertät und das Verlieben. Dumme Erwachsene und gute Freunde. Und typisch für Jugendromane: das Ungewöhnliche und der unnahbare Schwarm. Dabei zeichnet die Bücher gerade aus, dass sie klassische Erzählstränge nehmen und LSBTIQ* so in eine Normalität holen, die auch Personen den Zugang ermöglichen kann, die sich ansonsten wenig damit auseinandersetzen.

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Am 15.11.2022 startete die Künstlerin „annette hollywood“ das Onlinearchive „anderkawer“. In diesem stellt sie Fotos, Skizzen, Videos, aber auch Polizeiakten und weitere Dokumente zur Verfügung, die das Leben und die Situation lesbischer Mütter der letzten 100 Jahre betreffen.

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Auf der Webseite lädt sie ein, sich durch die Materialien zu klicken und selbst einen Einblick in die historischen Dokumente zu erhalten:

„Das Langzeitprojekt [anderkawer] untersucht anhand biografischer und gesellschaftlicher Ereignisse die Situation von nicht heteronormativen Familien und den damit verbundenen Ideologien von Familie und Mutterschaft in den letzten 100 Jahren in Deutschland.“

Den Anfang macht das Projekt im Berlin der 1920er Jahre. Wie das Magazin L-Mag schreibt, sind lesbische Frauen in diesem Jahrzehnt „[…] sichtbare Realität, die sich heute noch im Archivmaterial in Form von Fotos, Plakaten und Medien -- zum Beispiel in der Zeitschrift ‚Frauenliebe‘, die in den Jahren 1926 bis 1930 in Berlin erschien – wiederfindet“.

Aber auch Themen wie Verfolgung, Denunziation und damit verbunden die Not, untertauchen zu müssen, spielen eine Rolle. Gerade in den Nachkriegsjahren um 1950 geht es darum, inwieweit die Protagonist*innen medial überhaupt in Erscheinung traten:

„Die Fundstücke, wie Zeitschriften und Akten, erzählen von der Unsichtbarkeit, gesellschaftlichen Diskussion und heute allmählichen Akzeptanz queerer Familien und machen die Verwendung von Sprache, ihre Zuschreibung und Wirkmacht im jeweiligen gesellschaftlichen Klima erfahrbar“.

Am Ende soll das Projekt einen Eindruck vermitteln, wie sich die Verhältnisse in den vergangenen 100 Jahren darstellten und veränderten. Dabei nimmt Unsichtbarkeit und das wieder Sichtbarwerden im Laufe der Zeit eine wichtige Rolle ein.

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In den Jahren 2017 bis 2020 gab es in Niedersachsen insgesamt 289 Operationen an den Genitalien von Kindern unter 10 Jahren. Das ergab eine kleine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg und Meta Janssen-Kucz (beide Bündnis 90/Die Grünen) im September dieses Jahres.

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Hierbei handelt es sich zumeist nicht um Operationen im Rahmen einer selbstbestimmten Geschlechtsangleichung aufgrund einer Geschlechtsdysphorie, sondern um die chirurgische Anpassung an eine heteronormative Erwartungshaltung von Eltern und/oder Ärzt*innen, so das Queere Netzwerk Niedersachsen (QNN) in seinem Artikel zu diesem Thema.

Wie QNN weiter berichtet, dauert der Streit zwischen „intergeschlechtlichen Selbstorganisationen“ und Mediziner*innen sowie Eltern darüber, wie ein „normales“ Geschlecht auszusehen habe, bereits Jahrzehnte an. Das Problem ist, dass diese kosmetischen Eingriffe zum einen medizinische Spätfolgen haben können (z. B. beeinträchtigte Orgasmusfähigkeit) und zum anderen jede Fehleinschätzung bei der vermeintlichen Zuordnung zu entsprechenden Problemen führen kann. In den seltensten Fällen geht es dabei um medizinisch akute Eingriffe. QNN schreibt:

„Im Mai 2022 trat deshalb das ‚Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung‘ in Kraft: „Im Wesentlichen begrenzt das neue Gesetz die Personensorge von Eltern intergeschlechtlich geborener Kinder, in dem es klar formuliert, dass die Personensorge nicht das Recht umfasst, in die Behandlung nicht einwilligungsfähiger Kinder mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung einzuwilligen oder diese selber durchzuführen […], wenn dies allein in der Absicht erfolgt, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzupassen (vgl. §1631e Abs. 1 BGB).“

Aber Vorsicht vor einer Fehleinschätzung. Sowohl bei früheren als auch beim aktuellen Gesetz liegt in dessen Auslegung ein hoher Interpretationsspielraum, sodass das Gesetz eine Hürde, aber kein Hindernis bedeutet. Auch der nun notwendige Beschluss des Familiengerichts erzeugt lediglich eine zusätzliche Kontrollinstanz, die ebenso interpretieren muss wie alle anderen. Zudem würde, selbst wenn ab sofort keine chirurgischen Eingriffe mehr durchgeführt würden, das Problem nur verlagert. Kinder und junge Erwachsene sind zeit ihres Lebens mit Normvorstellungen und Erwartungshaltungen konfrontiert. Die Belastung, die ein entsprechendes Missverhältnis zwischen dem Selbst, dem eigenen Körper und den externen Normen bedeuten kann, ist bereits aus der Debatte zum „Selbstbestimmungsgesetz“ bekannt. Ebenso wie dort besteht auch hier das Problem, dass gerade junge Menschen (unabhängig von einer formalen Volljährigkeit) nicht automatisch in allem sofort Mündigkeit erlangen. Wie die Notwendigkeit des Gesetzes zeigt, gilt dies nicht einmal für Erwachsene im Allgemeinen.

Wenn also der „Intergeschlechtliche Menschen Landesverband Niedersachsen e.V." und das „Queere Netzwerk Niedersachsen" neben einer konsequenten Evaluierung und Weiterentwicklung des Gesetzes intergeschlechtliche Selbsthilfe sowie Schulungen für Institutionen und medizinisches Personal fordern, trifft gerade letztere Maßnahme den Kern. Unsicherheiten, Unwissen und normative Überzeugungen, die auf die Entscheidungen von Eltern, Ärzt*innen, aber auch Kinder und später junge Erwachsene wirken, haben wenig mit einer spontanen Mündigkeit zu tun als vielmehr mit dem Bedarf einer Sicherheit schaffenden Beratung, um auch festgefahrene Überzeugungen und Ängste zu hinterfragen und zu begleiten. Dies gilt dabei für beide Seiten, wie das Thema der Detransition zeigt. Auch hinter einer vermeintlich progressiven und akzeptierenden Haltung können sich Fehleinschätzungen verbergen.

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